Nebenbei bemerkt
Was Provinz ist, bestimme ich!
Generalthema im Basler Stadtbuch - 125. Jahrgang
Von Reinhardt Stumm
Basler Stadtbuch 2004, soeben herausgekommene 125. Ausgabe. Die Umschlagfoto zeigt das umstrittene Kulturfloss auf der Kleinbasler Rheinseite bei der Mittleren Rheinbrücke..
BASEL.- Provinz wird offenbar an der Wiedereinführung der Polizeistunde durch die Hintertür erkennbar. Steht da. Natürlich wäre ihre Einführung durch die Vordertüre besser! Provinz sind die zunehmenden Restriktionen wie am Birsköpfli in Birsfelden (steht da so), wo ab 22 Uhr gar nichts mehr laufen darf. Als da noch keine Provinz war, waren die Leute vielleicht aus eigenem Antrieb ein bisschen rücksichtsvoller?
Provinz ist das Auftauchen der SVP in der Stadt. Steht da. Wäre früher undenkbar gewesen. Steht da! Provinz ist sparen an der Bildung, an der Uni, am Theater. Vor allem am Theater (steht da, aus dem Munde einer Theaterdame natürlich), denn durch unüberlegte Sparübungen wird das Theater als Dreispartenhaus in seiner Existenz leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Na und? Ach so, dann ist ja Provinz! Aber was heisst unüberlegt, wieso leichtfertig? Hat sich da wirklich niemand was überlegt? Wird nicht begründet. Ist auch nicht nötig, was Provinz ist, bestimme ich, basta.
Basel Provinz oder nicht – das Gerede darüber hat mit Selbstüberschätzung so viel zu tun wie mit Minderwertigkeitskomplexen. Mit Sehnsucht nach ich weiss nicht was. Dasselbe Gerede in Berlin-Dahlem oder in einer Pariser Vorstadt. Soho, südliches Manhattan, tiefste Provinz – und alle, die da wohnen, sind froh darüber. Und die Klagen über diese und jene Provinz innerhalb der Mauern dieser Stadt geben mehr Auskunft über die Kläger als über die beklagten Umstände.
Provinz ist was im Kopf!
Provinz ist was im Kopf! Wer sich über Provinzialismus beklagt, macht andere dafür verantwortlich, dass ihm selber nichts einfällt. Es ist dasselbe Missverständnis wie mit der Kultur, von der alle reden, am meisten die, die keine haben.
Das Basler Stadtbuch 2004 aus dem Merian Verlag, das 125. seiner Gattung seit 1879, stellt – Schwerpunktthema - die Frage: Ist Basel Provinz? Offenbar waren 19 Beraterinnen und Berater der Redaktion hingerissen von der Idee, nun endlich mal ans Lebendige zu rühren, herauszufordern, zu provozieren, Nachdenken zu stimulieren. Und wir haben jetzt das Vergnügen, aus den Texten von irgendwas bei fünfzig Autorinnen und Autoren die herauszusuchen, die sich überhaupt mit dem Thema herumprügeln und wer von ihnen Basel provinziell findet und welche nicht. Am besten machen wir uns gleich eine Strichliste.
Ist Zürich keine Provinz?
Aber da kann man doch frohgemut sagen, zumindest das Buch, zumindest die mutigen Fragen, das ist nicht Provinz! Im Gegenteil! Im Gegenteil ist allerdings auch wieder schnell gesagt. Was ist denn das Gegenteil von Provinz? Urban? Grosstädtisch? Grösststädtisch? Zentrumsartig? Citymässig? Metropolitan? Zürich?
Ist eh wurscht. Was Provinz eigentlich ist, wird ja gar nicht erst gefragt, das weiss sowieso jeder. O Gott! Und jede natürlich! Das braucht also gar nicht beantwortet zu werden. Du liebe Zeit, Provinz ist halt, was einem hier nicht so gut gefällt wie dort. Wer anderer Ansicht ist, beweist nur, dass er (und sie) erst recht Provinz sind. Zu kleine Schuhe, zu weite Hosen, zu wenig Geld fürs Theater, wenn einer um elf Uhr abends zu Bette geht und froh ist, wenn der Krach erträglich ist, das ist Provinz.
Theaterpremieren zu Hause feiern: Provinz…
Das Fehlen einer Clubszene, des Nachtlebens überhaupt ist Provinz. Man musste ja schon Theaterpremieren bei jemandem daheim feiern, lese ich – und werde bleich vor Schreck. Und nur weil ich dickfellig bin und es nicht zugeben will, frage ich, ob nicht vielleicht gerade da Provinz ist, wo es unmöglich ist, eine Theaterpremiere bei jemandem daheim zu feiern!
Basler Stadtbuch. 125. Jahr.
Hgg. Von Christoph Merian Stiftung, Basel.
156 S., CHF 48, € 32
Von Reinhardt Stumm
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