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Artikel vom 13.01.2005

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Kunst & Bücher

Zeichnen um zu leben

Ausstellung der Zeichnungen von Jürg Keller und Vernissage des Buches von Aurel Schmidt über den Künstler

Von Aurel Schmidt



Seinen Stift führt Jürg Keller mit der Akribie des aufmerksamen Beobachters und höchst einfühlenden Mitmenschen: Was auf den ersten Blick als altmodisch «gegenständlich» erscheint, zeigt auf den zweiten Blick ein äusserst begabtes Auge für Schönheit - die allerursprünglichste Voraussetzung für Kunst. Illustrationen: Edition Donato, CH-Oberwil © 2005



red.- Jürg Keller, der Zeichner par exellence, stellt seine soeben in Buchform herausgekommenen grossartigen Zeichnungen in der Arlesheimer «Trotte» aus. Seine unglaublich präzisen Bleistift- und Aquarell-Werke geben Stimmungen und Begebenheiten aus dem Elsass, aus Frankreich, aus Paris und aus der Toscana wieder. Die Zeichnungen Kellers sind in Buchform bei Edition Donato mit Texten von Aurel Schmidt herausgekommen. Und Aurel Schmidt stimmt die Leser von webjournal.ch mit dem nachfolgenden Text auf die Ausstellung und Buchvernissage ein (Ingress und Legenden: red.):

Es ist schwer zu entscheiden, ob die Ausstellung von Zeichnungen des in Oberwil lebenden Künstlers Jürg Keller im Dorfmuseum Trotte in Arlesheim dazu bestimmt ist, ein Buch mit dem Titel «Zeichnen um zu leben» über ihn und sein Werk vorzustellen, oder ob es sich umgekehrt verhält und das Buch die Ausstellung begleiten soll. Im einen wie im anderen Fall sind die Zeichnungen Geschichten, die Jürg Keller erzählt. Er zeichnet, wie ein Anderer schreiben würde.



Francophil von Kopf bis Fuss: Béret, Baguettes - Jürg Keller 1985 in der Grand Rue von Ault (heute: av. du Gal De Gaulle).



Das Buch ist wie die Ausstellung in fünf Teile gegliedert, die einen thematischen Überblick über Kellers Werk geben: Landschaften, vor allem im Elsass, aber auch in der Toskana und der Ardèche; Pariser Häuserfronten; Pariser Bistros; sodann Intérieurs; und schliesslich Menschen.

Alle Zeichnungen, mit feinem, fast tastendem Strich ausgeführt, lassen an einen Text denken und geben die Augenblicksstimmungen des Künstlers beim Zeichnen wieder. Denn wenn Keller sich ans Werk macht, geht er voll und ganz auf die Situation ein, die er antrifft, und lässt sich von ihr packen und forttragen. Das macht die Authentizität der Zeichnungen aus.



Detailreich bis ins letzte und daher spannend zu entdecken: «Le jambon et l'esaclier» im berühmten Pariser Lokal «Grizzli».



Ein kleines Beispiel. Durch die Bekanntschaft eines Malerkollegen lernte Keller in Ault-Onival in der Picardie Madame Laure Daurelly kennen, eine rüstige ältere Frau, deren verstorbener Ehemann einmal Operndirektor in der Provinz gewesen war. Madame Daurelly unterhielt ein Tanzstudio, wo die Mädchen und jungen Frauen des Orts Balletunterricht nahmen.

Während vieler Jahre besuchte Keller die Frau regelmässig und hielt auf seinen Zeichnungen die Räume des Hauses fest, in denen Madame Daurelly lebte. Ein Haus voller Erinnerungen, vollgestopft mit Krimskrams, Vasen, Obstschalen, Decken, Kissen. Diese Atmosphäre hat Keller mit seinem Stift festgehalten.



Ein chinesisches Sprichwort sagt: «Wenn man auf den Mond zeigt, guckt der Dummkopf auf den Finger.» In diesem «gegenständlichen» Bild steckt mehr als das, was es darstellt: Kitsch kommt vor dem Vergessen, sagt ein tschechischer Philosoph, aber einen Augenblick von Schönheit kann man mit Kunst vor dem Vergessen bewahren.



Niemand soll glauben müssen, dass es sich dabei um «grosse» Kunst handelt. Die Zeichnungen haben einen anderen, grossen Vorteil, der in der Intimität der Darstellung besteht, in der akkuraten Detailtreue, die jede kleinste Einzelheit einfängt und auf diese Weise die Stimmung im Haus Daurelly ausdrückt.

Ein anderes Mal zeichnete Keller zum Beispiel in der Werkstatt eines portugiesischen Schuhmachers in Saint-Louis. Wo immer Keller in seinem Leben hinkam, lernte er Menschen kennen und versenkte sich an den betreffenden Orten in die lokalen Verhältnisse.



Den portugiesischen Schuhmacher in unserer Nachbarstadt St-Louis gibt es nicht mehr; ebenso seine Werkstatt - doch Jürg Keller hat ihm und seinen Utensilien ein Denkmal auf Papier gesetzt.



Aus der genauen Kenntnis heraus, die er sich auf diese Weise aneignete, konnte er in seinen Zeichnungen auch so viel Leben und Stimmung einfangen. So erweisen sich die Intérieurs am Ende als Porträts der betreffenden Menschen, denen Keller in ihrer Umgebung begegnet ist.

Am besten gelungen zu sein scheint ihm dies in unzähligen Werken, die in Pariser Bistros entstanden sind: Pharamond, L‘Escargot, Chez Julien, Chartier, Le Square Trousseau, Bofinger, Polidor und vielen anderen. Von einem «Theater der Gastronomie» habe ich in einem der verschiedenen Begleittexte in Kellers Buch gesprochen.



Wer Zeichnen kann, kann auch malen - müsste man meinen - aber… Hier eine stimmige Ansicht eines Gassenwinkels in Lecce (I), die nicht nur Jürg Kellers Können in der schwierigen Technik des Aquarellierens offenbart, sondern auch dessen Gefühl für poetische Stimmungen und treffende Farbgebung.



Dass die Zeichnungen auf diese Weise auch Dokmentationen der Situationen und der örtlichen Verhältnisse sind, die Keller angetroffen und mit dem Zeichnungstift wiedergegeben hat, kommt hinzu. Keller hat nie die Absicht, in Konkurrenz mit der Fotografie zu treten, das wäre auch lächerlich gewesen; er spielt vielmehr mit den Ausdrucksmitteln der Zeichnungen und wendet sie souverän an, um seine Motive zu erspüren, sie wie eine Art Knetmasse zu formen und sie so wiederzugeben, dass es scheint, als ob sie vibrieren würden. Dass sie dabei also nicht auf äussere Genauigkeit zielen, sondern es Keller mehr darauf ankommt, das Wesentlich einzufangen, trägt zu ihrer Wirkung bei.



«Renoir» würde Henry Miller sagen, angesichts von Silvias üppiger Pracht - und nicht weit weg von Renoirs Stil, wäre es nicht ein Oelbild von Jürg Keller um 2000.



Und aus genau diesem Grund ist es auch, wie am Anfang gesagt, berechtigt, die Zeichnungen Erzählungen zu nennen. Sie erschliessen sich nicht auf einen ersten oder schnellen Blick, sondern sollten langsam gelesen werden, Detail um Detail, Blatt um Blatt, wie man Zeile um Zeile folgt und Seite um Seite eines Buchs umblättert. Erst dann, aber dann in einem umfassenden Sinn, erschliessen sie sich in ihrer zeichnerische Vielfältigkeit.


Jürg Kellers Zeichnungen sind im Ortsmuseum Trotte, Ermitagestrasse 19, Arlesheim, bis 30. Januar 2005 zu sehen.

Vernissage: Freitag, 14. Januar 2005, 18 bis 20 Uhr.

Öffnungszeiten Mittwoch bis Freitag 16-19, Samstag 14-18, Sonntag 10-12 und 14-17 Uhr.


Das Buch mit Zeichnungen von Jürg Keller und Begleittexten von Aurel Schmidt ist in der Edition Donato, Vorderbergstrasse 45, 4104 Oberwil, erschienen. Preis: 68 Franken.

Von Aurel Schmidt


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