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Artikel vom 14.05.2009

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Elsass - Allgemeines

Am Vorabend der Foire du Livre

Am Freitag, 15. Mai 2009, 18 Uhr, wird in Basels Nachbarstadt Saint Louis die 26. Buchmesse eröffnet

Von Jürg-Peter Lienhard



Einer der Gründe, warum die Basler Buchmesse nicht über die Runden kam, waren die hohen Quadratmeterpreise für die Luxusstände. Saint-Louis zeigt, wie man es bescheiderner machen kann - und darum schon seit 26 Jahren… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009


Noch herrschte am Vorabend der «Foire du Livre» am Donnerstag, 14. Mai 2009, auf fast allen Tischen der Buchmesse gähnende Leere. Einzig Colonel Michel Buecher aus Pfirt und sein Adjutant-chef Roland Fontaine hatten bereits ihren Stand in der Abteilung «Eigenverlage» fertig dekoriert: «Le Devoir de Mémoire» - die Pflicht zur Erinnerung - heisst Buechers Buch über die Befreiung des Sundgaus im Zweiten Weltkrieg, das einige brisante Informationen über die Mitwirkung des Schweizer Generals Henri Gusian enthält.



Vétérinaire-Colonel Michel Buecher (rechts) und Adjutant-chef Roland Fontaine dekorieren ihren Stand für das Buch «Le Devoir du Mémoire». Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009

Wir haben auf webjournal.ch bereits mehrmals über die Befreiung des Sundgaus berichtet, zumal über die Rolle von Lieutenant Jean de Loisy, dessen Denkmal in Rosenau und Mulhouse steht. Michel Buecher hat in seinem Buch «Le Devoir de Mémoire» die Rolle Wolschwillers vor und nach der Befreiung beschrieben, zumal, wie die jungen Elsässer, die in die Wehrmacht zwangsweise eingezogen hätten werden sollen, über den Chall in die Schweiz emigrierten.

Die Familien hatten darauf schwere Sanktionen zu erleiden. Meist wurden sie nach Deutschland umgesiedelt und ihre Gehöfte im Elsass beschlagnahmt und an stramme Nazi-Deutsche übergeben. Die geflohenen Elsässer kamen nach Büren an der Aare, wo sie bis zum Frühjahr 1944 interniert blieben, aber dann mit Einwilligung des Schweizer Armee-Chefs, Generals Henri Guisan, bei Le Locle nach Frankreich entlassen wurden, damit sie den Kampf der französischen 1. Armee gegen die Nazis unterstützen konnten.

Am Buch hat auch der Schweizer Panzer-Oberst Hervé de Weck, verwandt mit dem Publizisten Roger de Weck, mitgearbeitet und zudem einige Beiträge zu mythischen Schweizer Sagen von Wilhelm Tell über Winkelried bis zu Schillers Rütli verfasst. Buecher konnte zudem auf erstaunlich offene Berichterstattungen in den jurassischen Zeitungen in der Kriegszeit zurückgreifen. Die Vermutung liegt nahe, dass die französisch verfassten Artikel eben in der Deutschschweiz und damit in Deutschland nicht oder nicht genügend zur Kenntnis genommen wurden.

Das Buch ist äusserst interessant, und handelte es nicht von einer grausamen Tragik, könnte man fast sagen, es sei «spannend» geschrieben. Es ist ferner garniert mit vielen Dokumenten, die Buecher in Porrentruy ausgegraben hat. Mit Schaudern muss man als Leser zur Kenntnis nehmen, wie stark die deutschen Kräfte waren, und man empfindet grosse Hochachtung vor den enormen Leistungen der 1. Armee unter General de Lattre de Tassigny, der engen Kontakt mit seinem Schweizer Kollegen Guisan hatte. Guisans Informationen, die er durch die internierten Elsässer beziehen konnte, halfen wesentlich mit, den Sundgau in nur vier Stunden zu befreien.



Michel Buecher mit seinem im Selbstverlag herausgegebenen Buch «Le Devoir de Mémoire». Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009


Autor Michel Buecher ist 1937 in Mülhausen geboren worden und spricht immer noch das dem Baseldeutsch ähnelnde Melhüüserisch. Er kam zwischen Januar und Mai 1945 mit den rund 10'000 elsässischen Kindern «zum Aufpäppeln» in die Schweiz nach Bärschwil (Kanton Solothurn). Er studierte Veterinärmedizin an der Ecole Nationale de Médecine Vétérinaire in Lyon, liess sich 1965 mit einer Praxis in Pfirt nieder und kam bei mehreren Seuchenfällen auch in der Nordwestschweiz zum Einsatz. Bis er 2002 in Pension ging, war er Departements-Tierarzt der Feuerwehr für das oberelsässische Departement Haut-Rhein (in Frankreich stellen die Feuerwehren die Rettungsdienste bei Strassen- und anderen Unfällen).

Nach 16 Monaten Militärdienstzeit in Madagaskar - zumal im Schlachthaus -, hatte er militärische Aufgaben im Mutterland übernommen und wurde zum Vétérinaire-Colonel du Service de Santé des Armées befördert. Anders, als der Titel vermuten lässt, bekleidet der Veterinär in der modernen französischen Armee die äusserst (lebens-)wichtige Funktion des Lebensmittel- und Wasser-Inspektors.

Als Sundgauer Veterinär kann Buecher viele unglaubliche Geschichten, die er selber erlebt hat, zum besten geben: Einmal musste er in Mülhausenen einen Tiger einfangen, den ein Spinner als «Souvenir» aus Afrika mitbrachte. Immer wieder wurde er zu Grossbränden in Scheunen und Stallungen gerufen, wo er die Triage für oder gegen das Abdecken rauch- oder flammengeschädigter Tiere vornehmen musste - manchmal drei Mal die Woche.

Bei seinen tierärztlichen Besuchen auf den Höfen oder bei den Konsultationen in der Pfirter Praxis erzählten ihm seine Kunden immer wieder unglaubliche Geschichten aus der Zeit der deutschen Besetzung, weshalb er sich für diese Geschichten zu interessieren begann und historische Forschungen aufnahm, die er seit seiner Pensionierung gewissermassen zu seinem zweiten Beruf machte und im Buch «Le Devoir de Mémoire» gipfelten.

Die im Buch beschriebenen Fakten sind eng mit der Geschichte der Grenzregion Nordwestschweiz und Sundgau verbunden, weshalb es eigentlich für die Nordwestschweiz eine vornehme Aufgabe wäre, das Buch auf Deutsch übersetzen zu lassen. Die gemeinsame Geschichte rechtfertigte es jedenfalls.

Zwar erhielt der Bub Buecher, als er aufgepäppelt von Bärschwil nach Mulhouse zurückkehrte und in der ersten Schulstunde die Lehrerin freundlich mit «Grüezi» begrüsste, grad eine währschafte Ohrfeige: «ici on parl le français». Doch gehörte die Ohrfeige den Deutschen der Nazizeit weitergegeben: Ihr brutaler Terror trägt die Verantwortung dafür, dass das schöne elsässische Alemannisch am Sterben ist.

Info

Die Foire du Livre in St-Louis bei der Halle Barnabès dauert von Freitag, 15. Mai bis Sonntag, 17. Mai 2009,




Michel Buecher (links) erklärt den Mitarbeiterinnen der Mediathek von St-Louis sein Buch an seinem Stand, der als einziger bereits am Vorabend der Messe vollständig eingerichtet war. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009

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Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

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