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Artikel vom 19.08.2007

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Ausreden am laufenden Band

Auf den anderen einzugehen ist nicht immer erfolgversprechend

Von Aurel Schmidt



Faule Ausreden verdunkeln nur zu oft die nötige Erhellung: Eclipse, fotografiert in Afrika.


Die anderen mögen sagen, was sie wollen. Wenn sie recht haben, um so schlimmer. Aber dann stellt sich die Frage: Was tun? Einfach nicht darauf eingehen. Ein kleines Kompendium fürs richtige Verhandeln und Vorgehen.

Wenn ich zum Beispiel sage: «CO2 greift die Atemwege an» oder «Zwischen Treibstoff aus Biomasse und Hunger in der Welt besteht ein Zusammenhang, weil der Boden nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet wird», oder «Jede Minute wird in der Schweiz ein Quadratmeter Land überbaut beziehungsweise sind es täglich zehn Fussballfelder» oder auch nur so etwas Harmloses, Selbstverständliches, Unwiderlegbares wie «Zwei und zwei sind vier» (Tatsachen, nichts weiter), bekomme ich viele überraschende Antworten zu hören.

Zum Beispiel: Ja und? Oder: Wie meinen Sie das? Das kann man so nicht sagen. Päng! Das ist übertrieben. Päng, päng! Das würde vielleicht stimmen, aber weil sie nicht auf die überhöhte Staatsquote eingehen... Da steckt die Überlegung dahinter oder die Unterstellung: Weil Sie nicht von meinen Sachen reden (sondern von Ihren eigenen), haben Sie unrecht. So einfach ist das.

Für den Fall, dass es unmöglich ist, stichhaltig zu antworten, weil Gegenargumente fehlen, gibt es eine Fülle von Ausreden und Abwiegelungen. Die Liste ist lang und zeugt von einem unglaublichen Erfindungsreichtum – das muss man zugeben. Was sich die Menschen einfallen lassen, um auf unangenehme, ärgerliche Argumente oder Aussagen nicht eingehen zu müssen.

Ja und nein...

Eine der einfachsten Antworten ist und bleibt: Das hat damit nichts zu tun. Oder: Ja schon, aber nicht so. Mit Polemik erreichen Sie nichts, Sie müssen sach- und ergebnisorientiert diskutieren, wenn Sie etwas erreichen wollen. Man ist dafür, wenigstens vordergründig-verbal, aber lehnt das fremde Gesagte doch prinzipiell ab, ohne es zuzugeben.

Eine andere Möglichkeiten, die sich anbietet, ist: Ja und nein. Man tut so, als würde man die zur Diskussion gestellte Sache ernsthaft abwägen und oder sogar darauf eingehen und tut es genau durch dieses So-Tun nicht.

Das glaube ich nicht. Jetzt ist der andere abgeschmettert, in den Senkel gestellt und muss noch einmal von vorne mit dem Erklären beginnen.

Das habe ich noch nie gehört – was nicht bedeutet, dass das Vorgebrachte falsch wäre. Aber der Fuss klemmt im Türspalt und die Tür kann nicht mehr zugemacht werden.

Das ist doch nichts Neues. Ach wissen Sie, das ist schon lange erledigt. Das ist kalter Kaffee. Das ist aus der Mottenkiste. Das interessiert niemand. Sie sehen da etwas, was nicht da ist. Das kann nicht stimmen, sonst wäre schon lange jemand darauf gekommen.

Verschwörung, Zumutung, Bieridee

Als ganz perfid erweist es sich zu sagen: Wollen Sie etwa die Welt verbessern? Das bedeutet: Sie sind ein unverbesserlicher Narr oder Naivling oder ein saudummer Hund! So eine Impertinenz! Was fällt Ihnen ein, wo leben wir eigentlich? Wollen Sie den Fortschritt aufhalten? Die Freiheit einschränken? Wir haben schon genug Regulierungen, 120 Kilometer auf der Autobahn und so weiter. Von solchen wie Sie haben wir genug!

Vertraulichkeiten, mit schulterklopfender Belehrung gemischt, machen sich immer gut. Wie können Sie nur so etwas denken! Herr Vasella weiss genau, was er macht, er hat es mir selber gesagt! Glauben Sie mir, Sie irren sich.

Zum Abwiegeln gibt es ein ganzes Vokabular von Ausflüchten: Das sind Scheinargumente. Das ist Zwängerei. Das ist Irreführung. Das ist eine Verschwörung. Das ist eine Zumutung. Das ist übertrieben. Das geht zu weit. Das ist eine Bieridee (Adrian Ballmer, Basler Zeitung 26. 3. 2007). Das ist eine Mogelpackung. Das ist Alarmismus. Das trifft die Sache nicht richtig. Das ist aus der Luft gegriffen. Das ist stillos. Das ist reine Stimmungsmache. Das ist verstecktes sozialistisches Gedankengut, damit haben Sie keine Chance heute bei den Leuten, also überlegen Sie sich das nächste Mal besser, was Sie sagen/was Sie denken/was Sie unternehmen/was Sie vorhaben. Das ist blinder Aktivismus. Sie übersehen das Wichtigste. Beruhigen Sie sich. Jetzt erst mal schön der Reihe nach. Also wie war das? Wer hat...? Aha. Und was ist dann passiert? Sehen Sie, so müssen Sies machen.

Fürsorgliche Gegenargumente

Es bewährt sich auch, mit guten oder gut gemeinten Ratschlägen die Sache abzuwimmeln. Sie sehen das viel zu eng. Das heisst: Sie sind engstirnig, verbohrt, unbelehrbar. Es kommt aber sehr darauf an, wie man argumentiert, denn umgekehrt kann man unangenehme Einwände auch anders abschmettern: Sie sehen das viel zu weitläufig, Sie müssen genau sagen, was Sie wollen, Sie müssen das Ziel (die Sache) im Auge behalten. Wenn ich Ihnen also den Rat geben darf... Glauben Sie mir, ich meine es gut mit Ihnen. Ich bin ganz Ihrer Meinung, aber Sie müssen sich das nochmals durch den Kopf gehen lassen, wenn Sie etwas erreichen wollen. Sonst schaden Sie der Sache und sich selbst, und das wäre jammerschade. Ich würde für meinen Teil die Hände davon lassen.

Diese Bonhomie und Fürsorglichkeit soll die Gegenseite entkräften. So kann die Diskussion ewig weitergehen. Ja, doch, bestimmt, natürlich, unbedingt – aber genau genommen eher nicht. Es ist oft so, dass jemand nur deshalb recht hat, weil er behauptet, dass der andere unrecht hat. Eine Behauptung wird durch eine aus der Luft gegriffene Gegen-Behauptung nicht wiederlegt, aber lahmgelegt, neutralisiert, unangreifbar gemacht.

Alte Platten

Das ist mir zu kompliziert. Will sagen: Das ist so verblasen, dass ich mich weigere, darauf einzugehen. Das ist mir zu simpel. Das ist genau so verblasen.

Sie schweifen ab. Will sagen: Reden Sie von etwas anderem. Was Sie sagen, interessiert mich nicht.

Das gehört nicht hierher. Will sagen: Worüber hier gesprochen wird, entscheide ich. Wir lassen uns nichts aufzwingen.

Schon wieder diese alte Platte. Will heissen: Lassen Sie uns doch mit Ihren Belästigungen in Ruhe. Merken Sie denn immer noch nicht, dass Sie bei uns nichts verloren haben?

Das ist medial orchestriert. Will heissen: Das ist gar nicht von Ihnen, das ist ein abgekartetes Spiel.

Da haben Sie sich aber wieder einmal etwas Schönes einfallen lassen, Herr Schmidt. Will heissen: Nicht der Rede wert. Packen Sie ein und machen Sie, dass Sie abfahren, sonst knallts.

Von Aurel Schmidt

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

http://www.paperholic.com/2007/08/24/das-ist-kalter-kaffee-herrr-aurel-schmidt/



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