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Artikel vom 21.11.2016

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Vorbilder

Eingeweiht: Marc-Grodwohl-Strasse in Ungersheim

Der Gründer des Ecomusée d’Alsace wird zu Lebzeiten geehrt

Von Jürg-Peter Lienhard



Ein gewöhnliches Strassenschild - aber weder der Name noch die Geschichte dahinter sind gewöhnlich… © foto@jplienhard.ch 2016


Der unter skandalösen politischen Umständen buchstäblich seines Lebenswerkes Ecomusée d’Alsace enteignete Gründer und Pionier einer weit über das Freilichtmuseum hinausgreifenden kulturellen Bewegung, ist am Samstag bereits zum zweiten Mal in Ungersheim geehrt worden: Ihm und zwei ebenfalls kämpferischen Frauen sind drei Strassen nach deren Namen benannt. Für mehr hier klicken:

Eine Strasse, benannt nach lebenden Persönlichkeiten? Das Fragezeichen dürfte sich in ein Ausrufezeichen verwandeln, kennt man die Hintergründe, die zu erzählen dieser Bericht die Aufgabe hat.

Jean-Claude Mensch ist immer wieder gut für bemerkenswerte Aktionen wider den Mainstream. Er ist der Bürgermeister der Landgemeinde Ungersheim im Kalibecken des elsässischen Rieds. Und Nachfolger des Industriellen Gilbert Fricker, dessen Weitsicht es in den frühen achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eines der erstaunlichsten kulturellen und wirtschaftlichen Projektes im Dreiland zu gebären verhalf: Das Ecomusée d’Alsace war unter der Leitung von Marc Grodwohl nur vordergründig ein Freilichtmuseum.



Bürgermeister Jean-Claude Mensch (rechts) ist immer für politische Ideen zu haben, die nicht dem Mainstream folgen. © foto@jplienhard.ch 2016


Im Hintergrund aber kurbelten sein kulturelles und wirtschaftliches Vorbild unzählige Initiativen in der ganzen elsässischen Gesellschaft an: Durch sein offensichtliches Vorbild und der fürs Museums-Publikum unsichtbaren Beratertätigkeit kam es im ganzen Elsass vielenorts zu neu erwachtem Bewusstsein für das historische Erbe, dessen Sensibilisierung Restaurationen und Dorfkern-Schutzmassnahmen ermöglichten. Schliesslich wurde auch der wirtschaftliche Effekt eines aufgewerteten Dorfbildes erkannt, zumal damit die einheimische Bauwirtschaft und der Tourismus profitierten.

2006 drehte dann eine kurzsichtige politische Konstellation dem Ecomusée-Gründer den sowieso spärlichen Geldhahn zu, um ein schliesslich zum Scheitern verurteiltes Freizeitpark-Projekt in der Nachbarschaft mit 35 Millionen zum Fenster hinausgeworfenen €uros zu favorisieren: Grodwohl und seine aufopferungswillige Equipe wurde mit einem Federstrich enteignet. Die Mehrzahl der 165 Arbeitsplätze gingen verloren. Aber schlimmer noch: Eine während 20 Jahren seit der Eröffnung 1984 angelaufene breit grenzüberschreitende Publizität versiegte gewissermassen über Nacht, weil die Nachfolgeorganisation den Museumsstatus und ebenso seine kompetenten Mitarbeiter verlor.



Marc Grodwohl (r) eingerahmt von einem Teil seiner Familie (vlnr):Schwiegertochter Sophie und Sohn Frédéric Grodwohl und die Ehefrau Béa Grodwohl. © foto@jplienhard.ch 2016


Eigenartigerweise entging dieser Vorgang weder politischen Meinungsträgern noch kompetenten Exponenten in der Wirtschaft nicht - doch der Skandal blieb aus. Zu eng haften alle diese Exponenten an irgendwelchen Subventions-Töpfen und befürchten darum, bei Misstönen im Verhältnis zur präsidialen Ein-Mann-Exekutive konkrete Nachteile erleiden zu müssen.

Wie in «Asterix Gallien» gibt es im Elsass jedoch gewisse Gemeinden, zumal im Kalibecken mit seiner grossindustriellen Vergangenheit, wo an deren Spitze «Verweigerer», oder sagen wir es relativer: «Aufrechte» stehen, die nicht in der vorgegebenen Furche eines politischen Mainstreams marschieren wollen. So hat der aus gewerkschaftlichen Kreisen hervorgegangene amtierende Bürgermeister von Ungersheim, Jean-Claude Mensch, im Januar 2011 Marc Grodwohl zum Ehrenbürger ernannt - Ungersheim ist die Standortgemeinde des Ecomusée d’Alsace. Und am Samstag, 19. November 2016, folgte mit der Einweihung dreier Strassen, benannt nach genialen Querköpfen, der zweite Streich.

Nicht nur nach dem noch lebenden Marc Grodwohl wurde eine Strasse benannt. Sondern mit Absicht auch nach zwei Frauen. Die eine ist die einzige, die nicht mehr lebt: Liliane Vargas, war eine vom Bordeaux ins Elsass nach Ungersheim gezogene Schulmeisterin, die als erste Frau in den Ungersheimer Gemeinderat einzog. Sie erwies sich als kämpferische Lokalpolitikerin, die sich grosses Ansehen durch ihren unerschrockenen Einsatz für die Verbesserung von Schulwesen und Gemeindeleben einsetzte.



Farbiges Ungersheim vor grauem Schneewolkenhimmel über den Vogesen. Im Hintergrund der Wasserturm der Gemeinde - im flachen Ried der oberrheinischen Tiefebene ein markanter Fixpunkt. © foto@jplienhard.ch 2016


Die zweite Frau, die mit einem Strassennamen geehrt wurde, ist die Filmemacherin und Journalistin Marie-Monique Robin. Sie ist zwar eine Pariserin, aber hat mit ihrer Arbeit, die sich intensiv mit der Maiswirtschaft im elsässischen Ried beschäftigte, diese Ehrung bei Lebzeiten verdient. Ihren mit einem am Abend zuvor in der Sport- und Kulturhalle von Ungersheim gezeigten Film über den Chemiekonzern Monsanto und dessen Auswirkungen auf die elsässische Agrarwirtschaft vermochte denn über 600 Personen anzuziehen. Zur Erinnerung: Monsanto als Hersteller von gentechverändertem Saatgut und dem umstrittenen Pflanzenschutzmittel Glyphosat steht weltweit in der Kritik. Siehe Link am Schluss: «Was macht Monsanto?»

Bürgermeister Jean-Claude Mensch begründete bei der kleinen Feier in der Kantine der Sporthalle seine Wahl der Frauen-Strassennamen damit, dass sie der Frau an sich und dann allen Frauen der Gemeinde gewidmet seien, die sich in oft anonymem Einsatz für das Gemeinwohl nachhaltig einsetzten: «Der Mann sucht den Sinn des Lebens, während die Frau Leben schenkt», setzte Mensch das philosophische iTüpfelchen auf den symbolträchtigen Anlass, der weit im Elsass seinesgleichen suchen dürfte.



Das «Maison de la Nature» mit seiner eigenwilligen Architektur aus Baumaterial, das gleich vor der Haustüre gefunden wurde: Rhygwäggi für das Fundament, Löss und Bäume aus dem vom Kalibergbau der Gegend versalzten Ried. © foto@jplienhard.ch 2016


Noch nicht offiziell, aber im Anschluss an die schlichte Einweihungsfeier konnte man erfahren, dass Marc Grodwohl wiederum in Ungersheim ein sehr spezielles Projekt unter Mithilfe einer engagierten Anzahl Freiwilliger aus dem Dorf im Aufbau begriffen ist: Ein Kulturzentrum in einem Halbrund-Gebäude, das einem Köhler-Meiler nachempfunden ist, so wie sie in dieser Gegend im Mittelalter verbreitet waren. Es soll dereinst Informationsstände und Verkaufslokalitäten von den umliegenden Bio-Produzenten beherbergen und im Zentrum einen Holzbrotbackofen enthalten.



Verschränkte und am Ständer verzapfte Querbalken bilden die Aussenwände. © foto@jplienhard.ch 2016


Die Architektur will zeigen, dass die sonst im historischen elsässischen Fachwerk verwendeten Baumaterialien, die allesamt am Ort gefunden werden können - Löss-Erde, Rheinkiesel, Hard-Holz - moderne technische, zumal isolationstechnische, Möglichkeiten innewohnen. Grodwohl hat dabei Ideen aus den traditionellen Holzkonstruktionen in Iran und Canada verwendet. Sie flossen ihm aus seiner Expertentätigkeit für den Aufbau eines Freilichtmuseums in Iran und seinen Aufenthalten in Nordafrika und Canada zu - vermischt natürlich mit seiner überragenden Kenntnis der Wohn- und Baukultur im Elsass.



Und hier noch von ganz nahe. Man sieht die Zapfen gut, die bis zum Ständer durchgehen. © foto@jplienhard.ch 2016


Was so ein schlichter Anlass, wie die Einweihung von Strassenschildern in einem elsässischen Dorf, nicht alles an eindrücklichen Hintergrund-Geschichten verbirgt… Vielleicht war es Absicht, vielleicht fiel es nur dem von Aussen teilnehmenden Besucher auf: Drei Strassenschilder für drei ausserordentliche Menschen, die sich für die Gemeinschaft engagierten, finden ihren symbolischen Niederschlag auch im Gemeindewappen, das drei Kleeblätter darstellt. Zu hoffen ist aber, dass es nicht nur für Ungersheim bei dieser «Dreieinigkeit» bleibt, sondern dass künftig ein ganzes Kleefeld über das Elsass hinauswachse, das immerhin seinen Ursprung in Ungersheim hat…



Situationsplan des Projektes. Gut sichtbar die kreisförmig einen Innenhof bildenden Gebäude, die einem Holzkohlemeiler nachempfunden sind, so wie diese im Ried im Mittelalter allenthalben unterhalten wurden. © foto@jplienhard.ch 2016

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Was macht Monsanto?

• Trailer des Films von Marie-Monique Robin


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