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Artikel vom 22.04.2009

Rubrikübergreifendes

Halbfertiges Kunsthaus unter dem Hammer

Am Freitag, 24. April 2009, versteigert das Konkursamt Porrentruy im Auftrag des Basler Konkursamtes das ehedem der Stiftung Rémy Zaugg gehörende Haus Turberg in Pruntrut, dessen Umbau von Herzog & De Meuron konzipiert worden war

Von Jürg-Peter Lienhard



Das Umbau-Konzept stammt aus der Feder von Herzog & De Meuron - die einfühlsame Restauration wird wohl vom neuen Besitzer zerstört werden müssen. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009


Rémy Zaugg, der jurassisch-baslerische Künstlerphilosoph hatte grosse Pläne für sein Lebenswerk: In dem 1569 am Sitz des Basler Fürstbischofs erbauten mächtigen Bürgerhaus wollte er sich ein von den Architekten Herzog & De Meuron konzipiertes Denkmal schaffen. Doch sein plötzlicher Tod im Jahr 2005 gab auch seiner Stiftung den Todesstoss; sie ging kurz darauf mangels Aktiven pleite. Die «Aktiven» bestanden aus den Bildern des Künstlers, die auf mysteriöse Weise verschwanden oder nicht der Stiftung zugeführt wurden - so wie im Stiftungszweck vorgesehen. Das Pruntruter Haus, das bislang nach dem Namen der im 19. Jahrhundert darin ansässig gewesenen Druckerei Turberg benannt wurde, kommt am Freitag, 24. April 2009, unter den Hammer. Startpreis: 1 Franken.



Das Apotropäum - die Steinwarzen im vergrösserten Ausschnitt - vermochten den Bankrott der Stiftung Rémy Zaugg nicht abzuwenden. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009

Ein Franken für das Turberg-, alias Zaugg-Haus, ist nur vermeintlich ein Schnäppchen. Auf dem mächtigen Gebäude lastet eine Hypothek von 600’000 Franken, und es ist kaum anzunehmen, dass es selbst für 600’000 Franken einen Käufer finden wird. Gut möglich, dass die jurassische Kantonalbank auf Haus und Hypothek sitzen bleibt, oder es unter dem Hypothekenwert einem Steigerer zuschlagen lässt - um es ein für allemal ab zu haben… Das grösste Handicap für einen möglichen Bieter ist, dass mindestens nochmals eine bis zwei Millionen Franken in die finale Restauration investiert werden müssten, um das Gebäude funktionsfähig zu machen.

Kaufwillige Interessenten haben sich nicht besonders bei den diversen Besichtigungen hervorgetan, die das Konkursamt Pruntrut im Vorfeld der Versteigerung durchführte. Indessen wurde viel diskutiert, wozu man das Haus verwenden könnte - aber alle Ideen wurden wieder verworfen, wie verschiedene Exponenten der Ortschaft gegenüber webjournal.ch sagten. Eine Idee betraf ein Hotelprojekt, zumal das Haus viele Zimmer hat. Aber die Idee fand keine Interessenten, da das ehemals in der Stadtmauer am Fluss l'Allaine integriert gewesene Haus keine Parkplätze und auch keinen Garten aufweist.



Fertiggestelltes Zimmer im 3. Stock mit wunderschön erhaltenem Parkett und eingebautem Lift. Foto Expertise


Ein Tip aus der SonntagsZeitung vom 19. April 2009, wonach das Bundesamt für Berufsbildung und Technik (BBT) über namhafte, unverbrauchte Mittel für Projekte zur Schaffung von Jugend-Ausbildungsplätzen nicht los werde, bedingte, dass eine entsprechende Idee von einem kantonalen Projekt getragen werde. Doch gemäss Maire Gérard Guenat konzentriere sich die Gemeinde lieber auf das bereits aufgegleiste Projekt der «Salle de l'Inter», ein «Belle Epoque»-Gebäude aus der enthusiastischen Eisenbahnzeit um 1900. Das Renovierungsprojekt von sechs Millionen Franken mit Theatersaal, reicht bereits fünf Jahre zurück und soll laut Guenat mithilfe eines privaten Sponsors «bald» in Angriff genommen werden. Dabei dürften auch Jugendliche zum Einsatz kommen, weswegen Guenat dafür dann auch beim BBT die hohle Hand machen will. Das Zaugg-Haus habe da keine Priorität.

Das Haus Turberg wurde gemäss Stadthistoriker Marcel Berthold in einer sehr bedeutenden Etappe der Stadtentwicklung des Fürstbischofsitzes im 16. Jahrhundert gebaut, als allein erst das Schloss befestigt war. Die Traufe des mächtigen Daches liegt parallel zur Allaine, und die enorme Dachfläche bildet einen optischen Widerpart zum alles überragenden Schloss auf dem gegenüberliegenden Hügel. Die Mächtigkeit seines Gebäudes scheint deshalb vom bürgerlichen Bauherrn beabsichtigt gewesen zu sein…

Überhaupt hat es eine sehr bewegte Geschichte hinter sich: Es war unter anderen auch das Wohnhaus des Bürgermeisters und vom Volk «Père de la Patrie» genannten Pierre-François Choullat, der im 18. Jahrhundert einer der Rädelsführer der «Landestroublen» in der Ajoie gegen das Fürstbistum war, aber im Gegensatz zu Pierre Péquinat am 31. Oktober 1740 nicht dem Nachrichter übergeben wurde, sondern «lediglich» zu langjährigem Hausarrest verknurrt ward.

Und später bewohnte es kurz vor Ende des Ancien régime Joséph-Antoine Rengguer, einer der sieben Jakobiner und «echten» Revolutionäre der Schweiz, oder besser gesagt «radikalen», den Vorläufern der Liberal-freisinnigen von heute. (Das Mitglied der «Bergier-Kommission» Lucas Chocomeli hat sie erst in unserer Zeit [2006] aufgespürt und sie Robespierre und Saint-Just gleichgestellt. Lucas Chocomeli: «Jakobiner und Jakobinismus in der Schweiz. Wirken und Ideologie einer radikalrevolutionären Minderheit, 1789-1803», Bern, Berlin 2006). Bevor Zaugg das Haus kaufte, diente es unter anderem auch der spanischen Kolonie Porrentruys als Clubstätte, wo man oft Paëlla kochte.

Dass Bürgermeister Guenat keine besondere Lust verspürt, bei dem Zaugg-Haus irgendwie aktiv zu werden, hängt auch damit zusammen, dass ein entsprechendes Projekt, zu welchem Zweck auch immer, gar nicht existiert, dass es wiederum viel Zeit brauchte, um ein Nachfolge-Konzept und eine Eingabe dafür zu erstellen. Übrigens möglicherweise gar mit dem durchaus realistisch scheinenden Resultat, dass von nirgends Geld gesprochen werde. Da ist dem Maire der «Spatz» der «Salle l'Inter» in der Hand doch lieber - wobei es in Tat und Wahrheit aber doch umgekehrt ist: Die «Salle l'Inter» ist im Grössenvergleich mit dem Zaugg-Haus die fettere Taube, die erst noch von einem reichen privaten Sponsor gefüttert wird…

Der Umbau der Maison Zaugg wurde vom renommierten Basler Architekturbüro Herzog & De Meuron konzipiert. Das Büro war sehr befreundet mit dem Basler Künstler-Philosophen und baute ihm auch sein Haus in Pfastatt (elsässisch: «Pfascht»). Für den früheren Stiftungspräsidenten, der Basler Advokat Hans Furer, wäre die Qualität des Konzeptes von Herzog & De Meuron durchaus geeignet, das Haus zu einer Dépendence des Basler Kunstmuseums zu gestalten, zumal das Kunstmuseum viele Werke bedeutender renommierter jurassischer Künstler besitzt - vergraben in dunklen Depots…



Der Estrichraum war als Ausstellungsraum vorgesehen und könnte immer noch als Museums-Depot genutzt werden. Foto Expertise


Im Zaugg-Haus sind die Renovationsarbeiten nach dem Tod von Rémy Zaugg und nach dem Konkurs der Stiftung komplett eingestellt worden. Lokale Handwerker hatten bereits Arbeiten im Umfang von schätzungsweise 800’000 Franken geleistet, die sie aufgrund des Konkurses ohne Aktiven buchstäblich ins Kamin schreiben mussten. Immerhin ist der Innenausbau teilweise fertiggestellt: Ein Lift ist eingebaut; der als Ausstellungsraum geplante Dachstock beinahe und das dritte Stockwerk vollständig fertiggestellt: Da gibt es wunderschöne Zimmer mit wertvollem Parkett, betriebsbereiten Toiletten und Küche. Im Gewölbekeller sind ferner bereits umfangreiche Sanitär- und Heizungsinstallationen vorgenommen worden. Doch das Dach und ziemlich viele Stellen an den Aussenmauern sowie an den Fensterumrandungen zeigen Schäden, die dringend behandelt werden müssten, wie aus dem Gutachten des lokalen Architekten Romeo Sironi hervorgeht.



Ein weiteres schön restauriertes Zimmer im 3. fertiggestellten Stockwerk. Foto Expertise.




Teil der unfertigen Sänitär- und Heizungstechnik mit Blick durch die Kellertür auf die Strasse. Foto Expertise.




Zimmer im 1. Stock, wo die Restauration noch nicht begonnen wurde. Foto Expertise.




Unvollendete Restauration der Zimmerflucht im 1. Stock. Foto Expertise.




Schadhafte Ziegelpartie. Foto Expertise.




Blick auf die Maison Zaugg von der strassenseitigen Unterstadt - im Hintergrund auf der Anhöhe der Büsserturm beim Schloss. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2009



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jpl.- Der arme, kleine Kanton Jura ist zwar sehr stolz auf seine Unabhängigkeit, aber er leidet an der - sagen wir es so: glücklich unverdorbenen Existenz. Gemeint ist hier die Frage, was es braucht, um «entwickelt» zu sein - Materialismus oder Lebensqualität? Von letzterem hat es hier genug. Allerdings sind die Leute blind dafür; wer in Porrentruy wohnt, sieht sich in ein Kaff verdammt, wünscht, «dass mehr läuft», ohne sich darüber im klaren zu sein, dass es hier noch viel zu tun gibt, womit man «zum Laufen bringen kann», was lebenswert ist.

Wie die Maison Zaugg alias Haus Turberg, enthält Porrentruy enorme bauliche Substanz von grossem historischem Wert, ist Ort einer unglaublich interessanten Geschichte, die von den Einwohnern weder gekannt noch estimiert wird. Es wäre eine faszinierende Aufgabe der Pruntruter Gesellschaft, sich dieses kulturellen Schatzes bewusst zu werden und dafür etwas zu tun, statt jammernd besserer Zeiten zu harren, die in einer ungewissen Zukunft zu erwarten wären.

Es hat sich auch andernorts gezeigt, dass das «Kapital» von Ortschaften und deren Gesellschaft nur zu oft das «Gesicht» und die «Seele» eines Ortes sind: Wo gepflegte Fassaden den Besucher anlachen, wo aktives kulturelles Leben blüht, da geht man gerne hin. Und mitunter sind unter diesen Touristen dann auch mal intelligente Leute, die sich hier mit einem Unternehmen niederlassen. So wie im Elsass, wo sich 17 japanische Firmen niederliessen, weil unter den ersten japanischen Touristen der 80-er Jahre Leute mit Grips und Gespür darunter waren, die sich nicht an den Geranien vor den wunderschönen Fachwerkhäusern sattsehen konnten, die dank dem genialen Kopf Marc Grodwohl im Elsass heute neue Wertschätzung geniessen.

Ein Marc Grodwohl fehlte Porrentruy. Es gibt hier Minister für alles und jedes, stets für Konkretes, aber kein Minister für Ideen… Es braucht etwas Arbeitszeit, um Ideen zu generieren, wie man die halbfertige und doch schon gut begonnene Maison Zaugg weiterverwenden könnte, in obigem Sinne. Noch liegt in der Schweiz das Geld auf der Strasse, vielleicht etwas verdeckt unter administrativem Macadam, aber man muss noch etwas kratzen an der Oberfläche, um auf pures Gold zu stossen - wie in der Bahnhofstrasse in Zürich…

Obiges ist nicht nur spassig gemeint. Nein, es gibt tatsächlich Geldquellen in der Schweiz, Stiftungen, die ihr Geld nicht ausgeben können, nicht mal, wenn sie es zum Fenster hinauswerfen wollten. Wer es nicht glaubt, lese das Buch von Elisa Bortoluzzi Dubach: «Stiftungen. Der Leitfaden für Gesuchsteller». Verlag Huber, Frauenfeld. Nur: jemand müsste das Buch nicht nur lesen, sondern auch dessen Ratschläge befolgen und die Arbeit machen. Zum Beispiel ein jurassischer Ideen-Minister…

Aufgrund des Artikels in der SonntagsZeitung vom 19. April 2009 habe ich mir kurz die Mühe gemacht, mal herumzutelefonieren, was man mit der Zaugg-Maison anfangen könnte. Die Kollegin vom «Le Quotidien Jurassien» wäre interessiert gewesen, Stimmen in Porrentruy einzuholen - aber, ob sie das gemacht hat, entzieht sich meiner Kenntnis, denn ich bin nicht Abonnent von «Le-cu-ji».

Ein Mail-Vorstoss beim Migros Genossenschafts-Bund, ob es in Porrentruy eine Migros-Klubschule gebe oder ob sie geplant sei, hatte eine ernüchternde Antwort zur Folge: Vor nicht allzulanger Zeit wollte die Migros Basel im neuen Kanton Jura ventilieren - sie ist zuständig auch für den Jura zwischen Delémont und Porrentruy -, ob ein Bedarf nach einer Klubschule im Hauptort Delémont oder gar am Fürstbischofsitz Porrentruy bestehe. Resultat: kein Interesse… Immerhin sei doch die «Université populaire» in Porrentruy ansässig? Löblich ist doch, dass die Migros und ihre Klubschule Ideen aufnimmt, bevor sie aktuell werden - aber soll die Migros Perlen vor die Säue werfen?

Vom Bundesamt für Berufsbildung und Technik BBT kam die Antwort, dass «Jugendarbeitslosigkeit häufig vermischt mit der Lehrstellen-Problematik wird. Unter dem Berufsbildungsgesetz können wir nur Projekte finanzieren, die mit Berufsbildung zu tun haben. Zudem müssen wenigstens 40 Prozent vom Antragsteller übernommen werden. Arbeitslosigkeit fällt unter das Arbeitslosengesetz, das vom seco betreut wird. Denkmalschutz ist kantonal oder allenfalls Sache des Bundesamtes für Kultur. Direkt auf Bundesebene sehe ich für Ihr Anliegen wenig Chancen. Da müsste sich wohl der Kanton engagieren».

Mit anderen Worten, und bezugnehmend auf den letzten Satz, müsste der Kanton Jura dem nicht vorhandenen «Ideen-Minister» schon lange die Aufgabe übertragen haben. Jedoch meint Advokat Furer, ein feuriger Liebhaber von Porrentruy, notabene «angefixt» übrigens von Rémy Zaugg, der aus dem Nachbarort Courgenay stammt, dass der Jura trotz seiner politischen Vergangenheit, die ein erstaunliches Potential an kreativen Aktionen wachrief, heute eben zu viele Beamte und zu wenig Ideen habe…

Und das sagen sogar hochangesehene Einwohner Porrentruys selbst: Dass der Geist, den Roland Béguelin wachrief, wieder eingeschlafen ist - im Jura und in Porrentruy auch…

PS: Roland Béguelin ist der Staatsgründer des Kantons Jura; er starb erst am 13. September 1993


Wegen der enormen Grösse des Gutachtens des Architekturbüros Remo Sironi (16,4 MB PDF) müssen Interessenten den Bericht via webjournal.ch bestellen: info@webjournal.ch

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Von Jürg-Peter Lienhard

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