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Artikel vom 01.03.2017

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Musik

Vier spannende Tage Basel Composition Competition

Christoph Müller, Gründer /Organisator, hat eine Glanzleistung in vielerlei Hinsicht vollbracht und erfolgreich Basel einen neuen Anstoss für neue Musik gegeben

Von Jürg-Peter Lienhard



Das Theater-Foyer in Basel war Schauplatz des ersten Kompositions-Wettbewerbes BCC in Basel. © foto@jplienhard.ch 2017


«Musik ist am schönsten, wenn sie vorbei ist»… Wenn mich nicht alles täuscht, so war das der Komiker Karl Valentin (1882–1948), dem so ein Satz entwischte. Und mutmasslich nicht nach einem Konzert «Neuer Musik» oder «neuer Musik», denn die hat er nicht mehr erlebt.




Das Kammerorchester Basel mit dem bemerkenswerten Franck Ollu am Pult. © foto@jplienhard.ch 2017

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Nun muss man mit träfen Sprüchen bei genialen Komikern vorsichtig sein, denn meist steckt im vordergründigen Witz hintergründig etwas ganz anderes. Und bezogen auf den Viertäger des ersten Kompositionswettbewerbs «Basel Composition Competition» (BCC) erlebte ich den Valentin-Spruch buchstäblich: Der Nachhall der vier Tage und seiner zehn Kompositionen begann erst hinterher seine volle Wirkung zu erzielen. Neugierde kam auf, Fragen stellten sich ein, Bewunderung auch, aber spannende Gespräche schwangen obenauf.

Zunächst einmal kann dieses Projekt nur Erstaunen wecken. Denn noch ist es ein Projekt, weil es der erste Kompositions-Wettbewerb für neue Musik in Basel ist, dessen gewünschte Fortsetzung in zwei Jahren aber wohl noch einige Bewährungshürden nehmen muss. Seit den siebziger Jahren, als die IGNM eine Reihe neuer Werke von zeitgenössischen Komponisten ins Stadt-Casino brachte, gab es in der «Musikstadt» Basel keine wettbewerbsähnliche Veranstaltung mehr. Zumal Paul Sacher sich damals von der IGNM abwandte.

Seit dem Tod von Paul Sacher und nach dessen Festival der Neo-Klassik schien seine Stiftung in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein, der sowieso durch den Tod von Pierre Boulez noch befördert wurde. «Les Dieux», wie der Boulez-Spezialist und Stiftungs-Mitarbeiter Robert Piencikowski, Sacher und Boulez etwa gar nicht ironisch nannte, waren das überragende Mass aller Dinge, zumal aller Aktivitäten, was die Förderung und Beförderung neuer Musik in Basel anging. Die darauf folgende Trauer ging in Lethargie über, denn die Basler (und internationale) Musikschaffenden waren ihrer Förderer beraubt.

Um so bewundernswerter ist die Inititative von Christoph Müller, der mit seiner Agentur Artistic Management GmbH Basel, den Kompositions-Wettbewerb «Basel Composition Competition» organisierte und damit Basel gewissermassen einen neuen musikalischen Anstoss verpasste, der erneut in die Welt hinausstrahlt. Insbesondere, wenn man weiss, dass sich über 750 Komponisten aus aller Welt sich für den Wettbewerb anmeldeten - auch wenn schliesslich «nur» 450 ein Werk zur Beurteilung vor einer prominenten internationalen Jury eingaben.

Natürlich war der besondere Anreiz für die Komponisten, dass mit dem Basler Kammerochester, einstmals das «private» Orchester von Paul Sacher, und dem Basler Sinfonieorchester, ihre Werke von renommierten Orchestern aufgeführt werden konnten, sofern sie die Vorentscheidung bestanden. Aber nicht zu verschweigen ist, dass mit einer Preissumme von 100’000 Franken auch die Chance bestand, dass die Arbeit der Komponisten finanziell gewürdigt wird. Vor allem, wenn es sich wie dieses Jahr, um zumeist wenig bekannte bis gar unbekannte Komponisten handelt, die in ihrer frühen Schaffensphase wie niemand auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Denn ironischerweise erhalten Kultur- und Musikschaffende saftige Preise erst in unmittelbarer Grabesnähe und im Angesicht lachender Erben…

Apropos Geld: Um in der Welt gehört zu werden, sogar in der Musik-Welt, muss ein solches Projekt komfortabel ausgestattet und perfekt organisiert sein. Mit einer Kostenschätzung von einer halben Million liege ich nicht daneben, meinte Felix Meyer von der Fondation Paul Sacher am Jubiläumskonzert der Musikakademie in der Martinskirche in Basel. Eine halbe Million! Das ist eine beachtliche Summe für einen viertägigen Kompositions-Wettbewerb, der sich mit kaum «mehrheitsfähiger» neuer Musik beschäftigt. Mit «mehrheitsfähig» ist nicht die Allgemeinheit gemeint, sondern insbesondere die Konzertgänger, die sich in der Regel am liebsten mit Romantik und Klassik, eher selten mit Barock ködern lassen.

Und genau das ist ein Aspekt, wofür man die Initiative von Christoph Müller und seine Unterstützer (Andy Oeri schlich sich bescheiden-clandestin rein und begab sich noch bescheidener mit seiner ältesten Schwester und Jost Meier in die menschenleere «Höhli») nicht genug loben kann: Wenn sich schon das allgemeine Musikgeschehen auf die toten Meister konzentriert, so hat ein neuer Komponist so gut wie keine Chance, seine Kreationen mit einem Orchester umzusetzen - mangels (zahlendem) Publikum. Die drei Nachmittage, an denen die zehn aus den 450 eingesandten Werken im immensen Foyer des Theater Basel zur Aufführung kamen, waren denn auch ganz spärlich besucht - sieht man von den einzelnen Gymnasial-Klassen ab, die bei freiem Eintritt einem motivierten Lehrer folgten. Der neue Komponist hat also bei einem (zahlenden!) Konzertpublikum kaum Chancen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Muss man doch schon einen «Schlager» mehrmals gehört haben, bis man sich sicher ist, dass er einem gefällt, so kann bei neuer Musik die Notwendigkeit erneut gehört zu werden nur um so dringender sein.

Und, was habe ich kürzlich mit Ruedi Linder, einem der stets immer noch beeindruckenden Initianten von «basel sinfonietta» diskutiert? Dass angesichts der Bevölkerungsentwicklung im «Abendland» - denn «unsere» Musik ist ausschliesslich abendländisch, unter komplettem Ausschluss der afrikanischen oder asiatischen, deren Geschichte und Vielfalt Jahrhunderte vor «unserer» abendländischen Musik begann - es heute seit Mozart und Beethoven eigentlich statistisch zahlenmässig mehr lebende Genies geben sollte, als zu deren Zeiten. Und was war Mozarts/Beethovens Musik zu ihrer Zeit? Zeitgenössische Musik, moderne, neue zumal, nach der das Publikum teils förmlich lechzte und die Komponisten zu immer fortlaufendem Ausstoss und immer raffinierteren Schöpfungen beflügelte.

Die nachmittäglichen Aufführungen von BCC während der Woche waren allerdings Hürden genug, um selbst interessiertes Publikum anzulocken, und immerhin war dann die Schlussveranstaltung am Sonntagmorgen, als auch die drei preisgekrönten der zehn zuvor aufgeführten Werke erneut gespielt wurden, erfreulich gut besucht: Die Treppe des Foyers und die Stuhlreihen vor dem Orchesterpodium, das gut die Hälfte des Foyer-Parketts belegte, sowie die Galerie-Ränge waren denn ganz gefüllt - schätzungsweise 500 Personen.



Victor Ibarra, dessen Komposition «In memoriam» den mit 60’000 Franken dotierten ersten Preis erhielt. © foto@jplienhard.ch 2017


Wenn am Mittwoch, 1. März 2016, um 21 Uhr, auf Radio SRF Kultur, das Gewinner-Werk «In memoriam» des mexikanischen Komponisten Victor Ibarra (geb. 1978) ausgestrahlt wird, entgehen dem Publikum technisch gesehen wesentliche Eindrücke. Der Raum des Foyers des genialen Theater-Architekten Gutmann, der schon in den späten sechziger Jahren das Foyer eben für solche neuen Aufführungsformen weg vom Guckkasten konzipiert und mit einem waghalsigen Spannbeton-Dach versehen hat: mit der Treppe als Gradin, wie in einem römischen Amphitheater, mit einer gigantischen Höhe des Raumes, der einem Sinfonieorchester einen anderen Klang als im Stadt-Casino verleiht, und der insbesondere mit der Rundumanordnung des Publikums eine Nähe zu den Künstlern - und umgekehrt - ermöglicht, wie es in den traditionellen Vorführungssälen nicht möglich ist.

Und natürlich entgeht dem Publikum am Radio auch der spannende «live»-Eindruck durch den gewaltigen Aufbau an Schlaginstrumenten - Gongs, Zimbalen, Pauken und allerlei seltsame Töne produzierendes Zeugs - sowie die Arbeit des Dirigenten, dem man von ganz nah zuschauen kann, wie er die Partitur umsetzt und wie er in kniffligen Momenten wem und wie Einsatz gibt. Schliesslich ist auch das blosse Zusehen eine Herausforderung, will man die Interpretationen der Musiker mit teils eher an Misshandlungen gemahnender Instrumenten-Handhabung verfolgen.

Die Anforderungen ans Hören sind allerdings enorm: Was fürs ungewohnte Ohr als «willkürlich» wirkt, zeigt sich in der Partitur als fein gesponnenes Geflecht, das mit Höhepunkten in den Stimmen und abwechselnder Lautstärke einem strengen Konzept folgt, das jedoch nach neuen Wegen, neuem Ausdruck sucht. Bildlich gesprochen ähnlich wie in der Literatur, wo die neue Poesie heute eine ganz andere Schönheit schöpft als es der einzige Literatur-Nobelpreisträger der Schweiz in seinem Monumentalwerk antiker Sagen in seiner Zeit und im Geschmack dieser Zeit ausdrückte.

Aber nachhören ist alleweil empfehlenswert, will man sich einen Einblick verschaffen. Allerdings muss ich freimütig zugeben, dass keiner meiner Favoriten unter den zehn Finalisten in den Rang gelangten. Immerhin hat der Jury-Sprecher Michael Jarrel bei der Preisverleihung richtig bemerkt, dass auch einer Fach-Jury ein aufkommender Stern entgehen kann, und dass der Erfolg einer Komposition nicht von einer Jury, sondern von anderen Faktoren und nicht zuletzt vom Publikum abhängt. Auch, ob der Glanz eines Sternes verglüht und vergessen wird, bevor er richtig wahrgenommen worden ist, stehe auf einem anderen Blatt. Die Geschichte der «vergessenen» Werke, zumal jener vieler Komponistinnen, zeigt zur Genüge, wie die Vorgänge der Wahrnehmung unberechenbar sind.

Unter den drei erstprämierten Werken ist als Drittplatzierte eine Frau, die 1982 in Südkorea geborene und heute in Berlin lebende - und also auch sehr gut Deutsch sprechende - Hannah Hanbiel Choi. Sie versteckte in ihrem Werk «Hide and Seek» schelmisch ein Motiv, das sie bei der Präsentation, als die Komponisten Kommentare abgeben durften, dem Publikum vorspielen liess und dadurch dann um so mehr Aufmerksamkeit der Zuhörer erwirkte, um das Motiv wiederzuerkennen. Der Zweiplatzierte ist der 1979 geborene Italiener Pasquale Corrado mit «After last October». Der 1978 in Mexiko geborene Victor Ibarra erhielt für den ersten Preis seines Werkes «In memoriam» die Preisgeldsumme von 60’000 Franken, die von der Isaac-Dreyfus-Bernheim-Stiftung gespendet wurde (Madame Soguel-Dreyfus vertrat in Begleitung ihres Gatten die Siftung).



Franck Ollu à la baguette: Der Dirigent des Basler Kammerorchesters brillierte 2016 bereits an der Opéra du Rhin und auch an diesem höchst anspruchsvollen Anlass in Basel. © foto@jplienhard.ch 2017


Die beiden Orchester wechselten sich während der vier Tagen ab, wobei das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Franck Ollu sechs der zehn Kompositionen sowie eines der Abschlusskonzerte bestritt. Das Sinfonieorchester unter Francesc Prat führte das zweite Wettbewerbskonzert mit der Preisträger-Komposition von Ibarra auf, wie es auch am Radio in der Sendung «neue musik im konzert» übertragen wird. Beide Orchester waren mit grossem Elan bei der Sache; es war erstaunlich mitzuerleben, wie die Musikerinnen und Musiker mit grösster Konzentration die anspruchsvollen Werke interpretierten. Trotz aller Professionalität nicht unbedingt selbstverständlich und ehrt natürlich sowohl die Dirigenten wie auch die Musikerinnen und Musiker, die die Werke der wenig bekannten Komponisten mit unverkennbarem Respekt aufführten.

Es ist zu hoffen, dass Christoph Müllers Versprechen einer Wiederholung der BCC 2019 eingelöst werden kann, ja, dass Basel damit einen neuen Anstoss erhalten hat, damit es wiederum seinen etwas verblassten Ruf als Musikstadt mehren und in die Welt hinaustragen kann. Mit einer Initiative, die dem zeitgenössischen Musikschaffen ein Podium für das Neue zu bieten vermag. Ganz im Sinne von Paul Sacher und Pierre Boulez: nicht für eine Avant-Garde, die als Teil des grossen Haufens dem grossen Haufen vorauseilt, sondern mit echten Neuerungen, die neues Leben in die Welt der Musik (nicht nur der abendländischen) bringt…



Die Drittplatzierte war immerhin eine Frau: Hanna Hanbiel Choi. Rechts neben ihr der Komponist und Jury-Mitglied Geord Friedrich Haas, Christoph Müller und der Radio-Moderator Andreas Müller-Crepond. © foto@jplienhard.ch 2017

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Die zehn Koponisten u.a. zum Programm


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