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Artikel vom 02.09.2005

Elsass - Kultur

Ausflugs-Tip für Sonntag, 4. September 2005

Geschichtsträchtiges Kleinod

Zum europäischen «Tag der jüdischen Kultur» ist der eigentliche «Basler» Judenfriedhof in Hegenheim zu besichtigen

Von Jürg-Peter Lienhard



Der erste Tote, der im Judenfriedhof von Hegenheim im Jahr seiner Gründung 1673 begraben wurde, war Jacob Levy. Sein Grabstein ist einer der vielen tausend, die man am Sonntag, 4. September 2005, zwischen 10 und 11 Uhr besichtigen kann.



HEGENHEIM (ELSASS)/BASEL.- Viele fahren achtlos an ihm vorbei, wenn sie ins Sundgauer Schlaraffenland zum Schmaus oder zum Vergnügen per Velo ausfahren: Der ziemlich versteckt auf der Strasse nach Hagenthal links in einer Senke liegende Judenfriedhof von Hegenheim. Er gehört zu Basel, wie zu Hegenheim und zur ganzen weiteren Region des ehemaligen Bistums Basel.

1673 hatte der Grundherr Hannibal von Bärenfels das Gelände den im Bistum Basel lebenden Juden als Friedhof verkauft. Der Bischof von Basel drängte dazu, aus Furcht, dass die Juden sich zu nahe bei Basel begraben liessen.

Der Zuzug der Juden in unsere Region, wo sie nur im Elsass meist unbehelligt toleriert worden waren, hat mit der Zerstörung der multikulturellen Gesellschaft von Granada und dem Süden Spaniens durch Isabella die Katholische zu tun (15. Jhd.): Infolge einer fanatischen Verwirrung, wollte sie Spanien juden- und araberfrei, dafür stockkatolisch machen *). Und dies in einer Zeit der geistigen Hochblüte des Mittelmeerraumes, wo Juden, Araber und Christen sich mit Wissenschaft und Literatur beschäftigten und grossartige Leistungen vollbrachten. Der nordeuropäische «Humanismus» war denn eine Reaktion, eigentlich zutiefst reaktionär, gegen diese religions- und kulturübergreifenden Metropolen des Südens.

Amerika entdeckt wegen Judenverfolgungen?

Immerhin, so könnte man frotzeln, wurde dadurch Amerika entdeckt (1492), denn es heisst in der Sage, dass Christoph Kolumbus mit jüdischem Geld eben das «Paradies auf Erden» suchen sollte, wo die in Spanien verfolgten Juden sich friedlich niederlassen konnten. Die grausamen und konsequenten Verfolgungen der Juden - nachdem auch die Araber aus Spanien nach Nordafrika zurückgetrieben worden waren -, führten dazu, dass diese immer weiter nach Norden wanderten, zumal sie auch in Frankreich Verfolgungen ausgesetzt waren.

So kamen viele Juden ins «Niemandsland» Elsass, das nach dem Dreissigjährigen Krieg (1615–1645) in Schutt und Asche gefallen und vollkommen menschenleer war. Das erklärt zum Teil die Ansiedlung von Juden im Elsass. Die religiöse Überzeugung der Juden, das «auserwählte Volk Gottes» zu sein, machte sie komplett resistent gegen jede andere religiöse Assimilation. Mit Ausnahme der Proselyten, also der «übergetretenen Getauften», die weder bei den Juden noch bei den Christen geschätzt sind…

Basels Juden kamen meist aus dem Elsass

Die Juden durften sich bis zur Staatsgründung der heutigen Eidgenossenschaft anno 1848 nicht in Basel niederlassen. Sie siedelten in den Randgebieten des Bistums Basel und im Sundgau (aber auch im Nordelsass), teilweise gar unter der Schirmherrschaft der französischen Könige, die sie als Finanzquelle für exorbitante Kriegs- und Luxussteuern und als gewiefte Händler schätzten. Weil sie auch die Versorgung der ganzen Bevölkerung mitbestritten.

Generell wurden die Juden im Sundgau in Ruhe gelassen, doch auch da mussten sie sich Anfeindungen und Verfolgungen gefallen lassen. Denkwürdig ist der «Judenrumpel» von Waldighofen Anfang des 19. Jahrhunderts; eine scheussliche Attacke gegen Leib und Gut der damals im Elsass doch wohlgelittenen Juden.

«Toleranz» für Totenkult

Ein grosses Problem im christlichen Umfeld stellte der Umgang der Juden mit den Toten dar: Die Juden kennen die «ewige Totenruhe», das heisst in der Auffassung ihrer Religion, dass ihre Grabstätten nie aufgehoben werden dürfen - im Gegensatz zu den Christen, die an die «Wiederauferstehung» der Seele und nicht des Körpers glauben.

Trotz der harten Auflagen gegen die Juden, zeugt die Zusage an die Juden, eigene Friedhöfe errichten zu dürfen, doch von einer, wie auch immer gearteten, «toleranten» Geste der christlichen Herrscher. So kam Hegenheim zu seinem Judenfriedhof. Allerdings ist er nicht der erste in unserer Region gewesen. Vielmehr bestand zuvor einer im fürstbischöflichen Zwingen (heute Kanton Baselland).



Foto aus: «Der jüdische Friedhof in Hegenheim/
Le Cimetière Israélite de Hégenheim (Haut-Rhin)» von Gil Hüttenmeister, Léa Rogg. Siehe Link unten.




Erst 1903 haben die Juden Basels - und auch da wieder: weitab von der Stadtgrenze - an der heutigen Theodor-Herzl-Strasse zu Burgfelden ihren eigenen, Basler Judenfriedhof errichtet. Doch aus religiöser Tradition wird der Judenfriedhof von Hegenheim immer noch von Basler Juden benützt und gepflegt.

Der Hegenheimer Judenfriedhof belegt heute rund zwei Hektaren Terrain, das früher um die zwanzig Mal erweitert werden durfte, und beherbergt rund 7000 Gräber. Die Gräberfelder sind eingeteilt in verschiedene Sektoren, z.B. für Kinder, meist bei der Geburt gestorbene, für schwangere Frauen, die im Kindbett starben und ein ganz besonderes für Rabbiner. 1970 wurde ferner eine Abteilung geschaffen für die «cohanim», einer Art Priester, die von den Angehörigen mit besonderen jüdischen Riten bedacht werden.

Einzige erhaltene Holz-Stele

Erst 1856 ist der Hegenheimer Friedhof mit einer Mauer umfriedet worden, nachdem er über Jahrhunderte hinweg nur mit einem Bretterzaun abgegrenzt war. Und ebenfalls erst 1908 ist die heute von der Strasse her fast nicht wahrnehmbare Kapelle gebaut worden, wo noch immer Beerdingungsfeiern abgehalten werden. Angebaut ist auch das Wärter- und Totengräber-Häuslein. Im Friedhof befindet sich die einzige erhaltene Holz-Stele im Elsass (Eiche, 1855).

Wenn Sie die Geschichte der Basler Juden aus dem Elsass entdecken wollen, überhaupt, wenn Sie die jüdische Kultur kennenlernen wollen, dann haben Sie am Sonntag, 4. September 2005, ausreichend Gelegenheit dazu:

• Besichtigung des Judenfriedhofes in Hegenheim am Sonntag, 4. September 2005, zwischen 10 und 11 Uhr morgens;

• Besichtigung des einzigen jüdischen Museums der Schweiz an der Kornhausgasse 8, Basel (gegenüber Denner, etwas versteck in einer Einfahrt), am Sonntag, 4. September 2005, von 11 bis 17 Uhr.




Buchtitel «Der jüdische Friedhof in Hegenheim/
Le Cimetière Israélite de Hégenheim (Haut-Rhin)»,
von Gil Hüttenmeister und Léa Rogg (2004). 144 Seiten, mit einem farbigen Faltplan und einem Inventar sämtlicher hebräischer Grabsteininschriften mit deutscher Übersetzung auf CD-ROM. Gebunden.

144 pages, avec dépliant en couleurs et un inventaire complet des inscriptions en hébreu et traduction en allemand sur CD-ROM. Relié.
Fr. 34.– / EUR 24.–
ISBN 3-7965-1899-0



*) ad Granada

Isabella I. von Kastilien, genannt die Katholische, war die Gemahlin von Ferdinand II., dem Katholischen, von Aragonien. Das Königspaar schuf die Grundlage für das spätere spanische Weltreich, in dem «die Sonne nicht unterging». Möglich machte dies Christoph Kolumbus, weil er für die spanische Krone Amerika «entdeckte» (12. Oktober 1492).

Ferdinand und Isabella gingen in vorher nicht gekannter Schärfe und Brutalität gegen Juden und Muslime vor. 1492 wurden alle nicht taufwilligen Juden von der iberischen Halbinsel vertrieben und 1502 folgte die Ausweisung der besiegten Mauren, was wirtschaftlich und künstlerisch einen großen Aderlass verursachte und die Stadt in Bedeutungslosigkeit versenkte. Sie erfanden auch die Inquisition, die sich vornehmlich gegen Christen selbst richtete.

Mit der Einnahme von Granada am 2. Januar 1492 (Termin ist strittig) durch das Königspaar Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón und deren Truppen aus Kastilien war die Reconquista abgeschlossen: die Rückeroberung der iberischen Halbinsel für das Christentum. Der Papst verlieh dem königlichen Ehepaar 1496 den Titel der reyes católicos (katholische Könige).

Im Jahr 1499 wurde auf Geheiss des Erzbischofs Jiménez de Cisneros von Toledo auf dem Marktplatz von Granada ein Scheiterhaufen errichtet, um Bücher islamischer Theologie, Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften zu verbrennen.

Seit dem Jahr 1492 ist Granada Sitz eines Erzbischofs. Die Universität wurde in den Jahren 1526 bis 1531 errichtet und stellte vor allem im 20. Jahrhundert eine der Haupteinnahmequellen Granadas dar; nach dem Ende der Frankodiktatur gewann zunehmend der Tourismus an Bedeutung.

Durch das friedliche Zusammentreffen mehrerer Kulturen und das Vorbild an Toleranz im maurischen Mittelalter ist Granada bis in die heutige Zeit ein lebendiges Beispiel für multikulturelle Möglichkeiten.

Aus: Wikipedia

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

http://www.schwabe.ch/docs/neu02-03/1899-0.htm



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