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Artikel vom 20.03.2005

Theater

Regeln für Schauspieler

Unterhosen-Theater ist eine Frage des Geschmacks - doch Geschmacklosigkeit gehört zum Theater wie das Amen in der Kirche

Von Redaktion



Unser Theaterfachmann fordert mit seinen 91 «Regeln für Schauspieler»: Schluss mit Unterhosen-Theater - zumal im Zweieier-Modell! Zeichnung (typähnlich): Tomi Ungerer, Strassburg © 2005



Um anständiges Theater zu produzieren, braucht es klare Regeln. Regeln ohne Ausnahmen! Schauspieler sind ausserhalb ihrer staatlich subventionierten Spielwiese eben auch gewöhnliche Mitbürger, Mitbürgerinnen, Familienväter und Hausfrauen. Also sollen sie ihre schlechten menschlichen, allzumenschlichen Angewohnheiten zu Hause lassen und auf der Bühne allein der Kunst und nicht dem Ego dienen! Unser Theaterfachmann hat ein Regelwerk für Schauspieler verfasst, das sich moderne Bühnenkünstler hinter beide Ohren schreiben sollten, und wovon wir hier ein paar der wichtigsten wiedergeben. Die gesamte Paragraphensammlung finden Sie über den Link am Schluss dieses Auszugs.

Ingress zum Paragraphenwerk:

Die Kunst des Schauspielers besteht in Sprache und Körperbewegung. Über beides wollen wir in nachfolgenden Paragraphen einige Regeln und Andeutungen geben, indem wir zunächst mit der Sprache den Anfang machen.


§ 2

Wer mit Angewohnheiten des Dialekts zu kämpfen hat, halte sich an die allgemeinen Regeln der deutschen Sprache und suche das neu Anzuübende recht scharf, ja schärfer auszusprechen, als es eigentlich sein soll. Selbst Übertreibungen sind in diesem Falle zu raten, ohne Gefahr eines Nachteils; denn es ist der menschlichen Natur eigen, daß sie immer gern zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehrt und das übertriebene von selbst ausgleicht.


§ 3

So wie in der Musik das richtige, genaue und reine Treffen jedes einzelnen Tones der Grund alles weiteren künstlerischen Vortrages ist, so ist auch in der Schauspielkunst der Grund aller höheren Rezitation und Deklamation die reine und vollständige Aussprache jedes einzelnen Worts.


§ 6

Eine solche suche sich der Schauspieler anzueignen, indem er wohl beherzige, wie ein verschluckter Buchstabe oder ein undeutlich ausgesprochenes Wort oft den ganzen Satz zweideutig macht, wodurch denn das Publikum aus der Täuschung gerissen und oft, selbst in den ernsthaftesten Szenen, zum Lachen gereizt wird.



Stellung und Bewegung des Körpers auf der Bühne


§ 35

Zunächst bedenke der Schauspieler, daß er nicht allein die Natur nachahmen, sondern sie auch idealisch vorstellen solle, und er also in seiner Darstellung das Wahre mit dem Schönen zu vereinigen habe.


§ 38

Denn der Schauspieler muß stets bedenken, daß er um des Publikums willen da ist.



Haltung und Bewegung der Hände und Arme


§ 45

Die neumodische Art, bei langen Unterkleidern die Hand in den Latz zu stecken, unterlassen sie gänzlich.



Gebärdenspiel


§ 64

Dabei muß vorausgesetzt werden, daß der Schauspieler vorher den Charakter und die ganze Lage des Vorzustellenden sich völlig eigen mache und daß seine Einbildungskraft den Stoff recht verarbeite; denn ohne diese Vorbereitung wird er weder richtig zu deklamieren noch zu handeln imstande sein.



In der Probe zu beobachten


§ 68

Auch in der Probe sollte man sich nichts erlauben, was nicht im Stücke vorkommen darf.


§ 69

Die Frauenzimmer sollten ihre kleinen Beutel beiseite legen.


§ 72

Wer bei Proben tragischer Rollen die Hand in den Busen steckt, kommt in Gefahr, bei der Aufführung eine Öffnung im Harnisch zu suchen.



Zu vermeidende böse Gewohnheiten


§ 73

Es gehört unter die zu vermeidenden ganz groben Fehler, wenn der sitzende Schauspieler, um seinen Stuhl weiter vorwärts zu bringen, zwischen seinen obern Schenkeln in der Mitte durchgreifend, den Stuhl anpackt, sich dann ein wenig hebt und so ihn vorwärts zieht. Es ist dies nicht nur gegen das Schöne, sondern noch viel mehr gegen den Wohlstand gesündigt.


§ 74

Der Schauspieler lasse kein Schnupftuch auf dem Theater sehen, noch weniger schnaube er die Nase, noch weniger spucke er aus. Es ist schrecklich, innerhalb eines Kunstprodukts an diese Natürlichkeiten erinnert zu werden. Man halte sich ein kleines Schnupftuch, das ohnedem jetzt Mode ist, um sich damit im Notfalle helfen zu können.



Haltung des Schauspielers im gewöhnlichen Leben


§ 75

Der Schauspieler soll auch im gemeinen Leben bedenken, daß er öffentlich zur Kunstschau stehen werde.


§ 80

Da man auf der Bühne nicht nur alles wahr, sondern auch schön dargestellt haben will, da das Auge des Zuschauers auch durch anmutige Gruppierungen und Attitüden gereizt sein will, so soll der Schauspieler auch außer der Bühne trachten, selbe zu erhalten; er soll sich immer einen Platz von Zuschauern vor sich denken.


§ 81

Wenn er seine Rolle auswendig lernt, soll er sich immer gegen einen Platz wenden; ja selbst wenn er für sich oder mit seinesgleichen beim Essen zu Tische sitzt, soll er immer suchen, ein Bild zu formieren, alles mit einer gewissen Grâce anfassen, niederstellen etc., als wenn es auf der Bühne geschähe, und so soll er immer malerisch darstellen.



Stellung und Gruppierung auf der Bühne


§ 82

Die Bühne und der Saal, die Schauspieler und die Zuschauer machen erst ein Ganzes.


§ 83

Das Theater ist als ein figurloses Tableau anzusehen, worin der Schauspieler die Staffage macht.


§ 90

Alle diese technisch-grammatischen Vorschriften mache man sich eigen nach ihrem Sinne und übe sie stets aus, daß sie zur Gewohnheit werden. Das Steife muß verschwinden und die Regel nur die geheime Grundlinie des lebendigen Handelns werden.


§ 91

Hiebei versteht sich von selbst, daß diese Regeln vorzüglich alsdann beobachtet werden, wenn man edle, würdige Charaktere vorzustellen hat. Dagegen gibt es Charaktere, die dieser Würde entgegengesetzt sind, z.B. die bäurischen, tölpischen etc. Diese wird man nur desto besser ausdrücken, wenn man mit Kunst und Bewußtsein das Gegenteil vom Anständigen tut, jedoch dabei immer bedenkt, daß es eine nachahmende Erscheinung und keine platte Wirklichkeit sein soll.



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Wer bis hierher den Auszug der «Regeln für Schauspieler» gelesen hat, wird wohl gemerkt haben, dass sie nicht dem modernen Theater oder gar der SVP zuzurechnen sind. Obwohl wir aus den 91 Pragraphen des Regelwerkes die kapriziösesten hier ausgelassen haben, denn dann hätten unsere bildhübschen Leserinnen und holden Leser zu früh gemerkt, dass wir sie auf den Leim kriechen liessen.

Das Regelwerk stammt nämlich aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Romantik die Klassik ablöste, und ist von einem aufgestellt worden, der zwar als Dichterfürst der deutschen Sprache, aber nicht als Regisseur für Schauspiel in die Geschichte eingegangen ist: Nämlich von Johann Wolfgang Freiherr von Goethe!



Der Täter war diesmal J.W.F.v.G…



Vergessen Sie nicht, dass jede Theater-Epoche ihre Skandale und «Geschmacksverirrungen» hatte, worüber die nachfolgenden Generationen nur schmunzeln oder ungläubig den Kopf schütteln konnten. Und das wollten wir mit unserem Blick zurück in die Theatergeschichte für unsere Leser auch bewirken. Wir hoffen Sie zum Schmunzeln (und zum Nachdenken) bewegt zu haben… Lesen Sie den ganzen Katalog auf nachfolgendemm Link.

Von Redaktion

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http://goetheanum-buehne.ch/760.html



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