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Artikel vom 28.12.2003

Zoo

Nemos Mutter war auch Vater

Zolli-Mitteilung Nr. 647: Aquarienfische sind keine Spielzeuge

Von Jürg-Peter Lienhard

BASEL. zoo.- Hinter Nemo, dem kindlichen Kino-Fisch-Helden, verbirgt sich eine biologische Geschichte, die weit mehr hergibt, als der Film erahnen lassen würde.



Wie immer bei Tierfilmen Disneys, sind die Tiere «vermenschlicht», dh. sie haben nichts mit der biologischen Realität zu tun. Das wird dem sogenannten Clownfisch zum Verhängnis, der als Held «Nemo» im Disney-Film nun in den USA derartige Begehrlichkeiten auslöste, dass bereits gewisse Gebiete in der Natur leergefischt wurden. Dabei braucht es sehr viel technische und biologische Kenntnisse, um das Meerestier in einem Aquarium zu halten. Konsequenz: Kanalisation!

Die Clown- oder Anemonenfische der tropischen Korallenriffe leben in einer Zweckgemeinschaft mit Seeanemonen, stark nesselnden und deswegen «unberührbaren» Verwandten von Korallen. Clownfische werden (fast) als einzige Fische von der Anemone nicht als Futter erkannt, denn sie können sich durch eine Art «chemischer Tarnkappe» für die Anemone unerkennbar machen, indem sie ihre Haut mit Anemonenschleim imprägnieren.



Besuchen Sie mit Ihren lieben Kleinen doch das Vivarium im Basler Zolli - dort wird der farbenprächtig anzusehende Clownfisch Artgerecht gehalten. Denn Tiere sind kein Spielzeug!

Die Bindung zwischen Anemone und Clownfisch ist in der Natur zwingend: Nur in Einzelfällen findet man einen «anemonenlosen» Clownfisch. Die Anemone bietet den Clownfischen einen hervorragenden Schutz vor Raubfischen. Zwischen den für andere Meeresbewohner giftigen Fangarmen der Anemone spielen sich alle Szenen der Clownfisch-Familie ab, welche aus einem deutlich grösseren Weibchen, einem kleineren Männchen und einem oder mehreren kleinen, noch geschlechtslosen Jungtieren besteht.

Clownfische leben in Gemeinschaft mit giftigen Seeanemonen

Aus dem Schutz der Anemone heraus wird Nahrung erjagt, unter der Anemone werden Eier gelegt und ausgiebig umsorgt. Die Anemone selbst wird von den Clownfischen heftig gegen Eindringlinge verteidigt und zwischendurch auch einmal mit einem überzähligen Futterstück ernährt. Ein Problem stellt sich jedoch den Clownfischen, wenn es um die Fortpflanzung geht: Ausserhalb ihres «Anemonen-Reviers» sind die schlechten Schwimmer grossen Gefahren ausgesetzt und «Balzausflüge» zur Nachbaranemone könnten schnell im Maul eines Raubfisches enden.

Die Lösung des Problems ist ein eben so genialer wie unglaublicher Rollenwechsel: Stirbt das grosse Weibchen, dann, wandelt sich das Männchen zum Weibchen um; stirbt das Männchen, erhält innerhalb weniger Wochen ein Jungtier die männliche Rolle. Ein Geschlechtswechsel ermöglicht also eine permanente Fortpflanzung, auch wenn ein Partner abhanden gekommen ist.

«Stand-by-Partner» müssen warten

Nachschub an Partnern steht durch die zwar männlichen, jedoch noch unfruchtbaren Jungen zur Verfügung; diese haben sich - nach ihren ersten Lebenswochen als frei in der Meeresströmung treibende Larven - an der Anemone angesiedelt. Sie werden dort als «Stand-by-Partner» geduldet. Ihr Wachstum und damit ihre Fruchtbarkeit wird durch dauernde Aggressionen des ranghöchsten Paars solange unterdrückt, bis ein Bedarf an geschlechtsreifen Tieren besteht. Danach beginnt der «Aufstieg» zum Männchen - und mit etwas Glück auch zum Weibchen. Mit etwas Geduld wird aus jedem Clownfisch-Vater auch eine Mutter!

Nur für geübte Aquarienbesitzer geeignet!

Clownfische sind für ungeübte Aquarienbesitzer keine geeigneten Haustiere, da sie ein gewisses Mass an Fachwissen und technischen Einrichtungen voraussetzen. Der Film «Nemo» hat in den USA einen Clownfischboom sondergleichen ausgelöst. Die Nachfrage lässt sich derzeit nicht über Nachzuchten decken, weshalb die Fische vorwiegend der Natur entnommen werden. Unzählige der plötzlich so beliebt gewordenen Meeresfische enden ausserdem nach Abflauen des Interesses in der Kanalisation.

Wer Clownfische und ihre Fortpflanzung aus der Nähe bestaunen will, kann dies - ohne Schaden anzurichten - auch im Zolli-Vivarium (Aquarien Nr. 22 und 39) tun.


Von Jürg-Peter Lienhard



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