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Artikel vom 02.03.2009

Basel - Allgemeines

Mit Fotoreportage am Schluss

Chienbäse wird immer länger

Der Feuerwagen-Umzug in Liestal ist schlichtweg sensationell - auch wenn er erst eine ganz junge Geschichte hat

Von Jürg-Peter Lienhard



Dass das Törli jedes Jahr diese Flammenhölle heil übersteht - ist zwar ein Wunder, aber dem hilft die Liestaler Feuerwehr kräftig nach. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2009


Das Wetter spielte mit am Chienbäse-Umzug vom Sonntag, 1. März 2009, im «Stedtli», der Kantonshauptstadt von Baselland. Die Zuschauer strömten in Massen aus allen Regionen, aus Basel, aus dem Elsass, dem Badischen zumal, um einen jedes Jahr länger und «feuriger» werdenden Umzug durch die Altstadt Liestals beizuwohnen. Die «Habitués» vermerken dies mit einer gewissen Genugtuung und auch Stolz. Wer schon lange nicht mehr dabei war, den dürfte es daher reuen. Den Liestalern und «zugewandten Orten» jedenfalls ist ein gerüttelt Mass an Originalität nicht abzusprechen, und auch die Fähigkeit, den Umzug zu einem sehr sympathischen Fest zu gestalten, auch wenn Elemente der Fasnacht à la Bâloise (Waggis und Morgenstreich-Utensilien) sich zugesellen.

Ich war vor so ungefähr vierzig Jahren das erste Mal an einem Chienbäse-Umzug - im Hochsommer! Ja, denn es war nicht der «richtige» Chienbäse-Umzug, sondern einer, der für das Deutschschweizer Fernsehen inszeniert worden war… Schlecht allerdings, denn im Stedtli vergassen die Organisatoren - ich glaube es war für eine Sendung von Wysel Gyr -, die Geranien von den Fenstern zu nehmen… Die Druggede war mässig, und weil man die Journalisten am Törli aufstellte, bekam ich ganz schön was an Feuerfunken auf Haupt und Kleidern mit. Eigentlich hatte ich damals gemeint, «es» für alle Zeiten gesehen zu haben.

Doch es kam anders: Der Gründer des elsässischen Freilichtmuseums, dem die elsässische Politik-Mafia sein wunderbares Werk gestohlen hat, hörte vom Chienbäse-Umzug, und weil er Volkskunde-Professor ist, fragte er mich an, ob ich ihn dahin begleiten wolle. Das war keine Frage: ich wollte, und so kam ich auch in den Genuss dieses Feuerspektakels und sah mich genötigt, mein «altes Wysel-Gyr-Bild» vom Chienbäse im Sommer mit Geranien zu revidieren. Und zwar total: Ich hatte nicht erwartet, dass es sich um einen nimmernendenwollenden Spektakel handelt mit wunderbarer Stimmung, was sich kaum anders beschreiben lässt, als mit sensationell.

Wir waren früh dran, aber wir kamen kaum bis zum Warenhaus «Manor», knapp hundert Meter vor dem Törli. Dann war Schluss mit Durchkommen. Durch den Torbogen sahen wir, was uns staunen liess: Der Platz vor dem ehemaligen Engel steigt leicht an, so dass man den Eindruck von unten vor dem Törli erhielt, es handle sich draussen vor dem Stadttor um eine riesige Tribüne - so gross war dort die Menschenmenge.

Punkt Viertel nach sieben, löschten die Lichter in den Umzugsgassen, was mit lauten «Ah’s» und «Oh’s» begrüsst wurde. Eine Guggenmusik, die vor dem Törli Aufstellung bezogen hatte, wollte nicht aufhören zu schränzen, bis unten in der Gasse abertausende Pfiffe ertönten - die vielen Zuschauer wollten nun endlich, dass der Umzug beginne, auf den sie so lange warteten…

Als «Avantgarde» kamen die Binggisse durchs Törli marschiert, begleitet von Trommel- und Pfeiferklängen sowie Laternen, wie sie am Basler Morgensgtreich getragen werden. Darauf kam die Rotstab-Clique und weitere grössere Cliquen-Formationen, bis dann die ersten kleineren Chienbäse-Träger nahten. Und bald kamen dann die ersten Feuerwagen, noch nicht die grossen, aber sie gaben gleichwohl schon ziemlich heiss.

Dann folgten die feurigen Ereignisse Schlag auf Schlag: Zuerst eine Gruppe Chienbäse-Träger, den Chienbäse auf der Achsel, oft mit alten Militärhelmen angetan (gegen die Funken), teils bunt bemalt, einige andere hatten Kopfbedeckungen wie Salatsiebe oder gar richtige Feuerwehrhelme. An gewissen Standorten warteten Feuerwehrleute mit Kübeln und Schwämmen, die den Chienbäse-Trägern jeweils Achseln und Rücken benetzten und sie so abkühlten.

Schliesslich kündigten Gejohle und begeisterte Rufe die «grossen Brocken» an, eiserne Feuerwagen mit meterhohen Holzbeigen, deren Flammen teils bis unter die Dächer der Gassenhäuser leckten. Der Lärm aus den vieltausend Kehlen der Zuschauer schwoll jeweils deutlich an, wenn die riesigen Feuerwagen durch das Törli gezogen wurden. Zuvor hatten Feuerwehrleute das historische Stadttor mit Wasserschläuchen benetzt; es fing nicht Feuer - seit Jahren ist dem Törli noch nie etwas passiert. Immerhin! Aber der Feuerball sah jeweils gewaltig aus, wenn er durch die Tordurchfahrt gezogen, dann am Gemäuer des Tores hochzischte, fast bis zur Turmspitze.

Das ging sicher acht Mal so vonstatten. «Gemeinerweise» hielten die Feuerwagen in gewissen Abständen an, und man sah, wie die Zuschauermassen sich irgendwie aus dem Feuerinferno verdrückten - irgendwie ging es immer glimpflich ab. Aber die Gassen waren übersät von Funken und Glut, als warte das Publikum auf indische Fakire…

Der Chienbäse 2009 ist schon Geschichte, aber was für eine! Das Spektakel dauerte gut eineinhalb Stunden! Eine Zuschauerin aus der Region sagte zu mir: «Es ist jedes Jahr ein Höllenhitze, aber wir gehen gleichwohl immer wieder hin…» Ich vermute, dass auch ich nächstes Jahr wieder dabei bin - Geranien hin oder her! Kommen Sie doch auch mit, am Sonntag, 21. Februar 2010, und machen Sie ein dickes rotes Kreuz in Ihre Agenda - so rot wie das Chienbäse-Feuer!


Fotoreportage von J.-P. Lienhard, Basel © 2009




Ein Salatsieb als Kopfbedeckung schützt des Chienbäse-Trägers Haupt wirksam vor Funkenwurf.




Besser, man weicht aus…




Imposant: Das Törli im Flammenmeer der Feuerwagen.




Nebenschauplatz Kreislaufkollaps: Einem Chienbäse-Träger wurde es schlecht. Aber nicht für lange, und schon war er aus dem Verkehr gezogen.




Ecomusée-Gründer und -Aufbauer Marc Grodwohl mit seiner Frau Béa und seinem Sohn Frédéric im «Rütli». Sie waren über alle Massen beeindruckt!



Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

http://www.chienbaese-verein.ch/geschichte/geschichte.html



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