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Artikel vom 13.05.2008

J.-P. Lienhards Lupe

Zum Tod von Paul Haeberlin

Dem grossen Patron der elsässisch-französischen Küche, dem Meisterkoch mit dem reinen Herzen und begnadeten Künstler des Geschmackssinns, Paul Haeberlin von der Auberge de l'Ill im Elsass (3 Michelin-Sterne), zur Erinnerung

Von Jürg-Peter Lienhard



Menükarte für das Bankett an der Ordensverleihung vom 21. Januar 1987 mit einem Aquarell von Pierre Haeberlin: Blick auf die Ill und auf Illhäusern.


Als am 21. Januar 1987 der französische Staatspräsident Valéry Giscard d‘Estaing in Illhäusern Paul Haeberlin den Orden eines «Officier dans l‘Ordre National du Mérite» verlieh, lag Schnee auf den Ästen der mächtigen Trauerweide vor der Auberge de l‘Ill - und es war ein Freudentag für die ganze Familie. Die Trauerweide vor der Herberge trug am Samstagmorgen, 10. Mai 2008, schon ein grünes Kleid, als Paul Haeberlin im Kreise seiner Angehörigen friedlich entschlief. Ein Blick in die Dokumente, die ich von der Ordensverleihung aufbewahrt habe, mag einen grossen Moment erhellen, auch wenn er dem Leben des Verstorbenen keine umfassende Würdigung geben kann.

Die Einladung zur Ordensverleihung erging an Hanns U. Christen, damals Feuilletonist bei der Basler Zeitung, wo er unter dem Kürzel «-sten» wöchentlich seinen beliebten «Märtbricht» schrieb. Darin befasste er sich oft und gerne mit kulinarischen Dingen, mit Wein zumal, was er aber immer höchst vergnüglich, voller Sachwissen und hochgebildet mit viel Geschichten über Herkunft, Land und Leute «garnierte».

Doch «-sten» liess sich durch mich vertreten, weil ich als Gründer und Initiant des Vereins Elsass-Freunde Basel sowie durch die redaktionelle Mitarbeit beim Ecomusée d'Alsace den Anlass seiner Ansicht nach besser dokumentieren konnte.

Immerhin sind es doch bald 20 Jahre her, so dass ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann - aber ein paar herausragende sind mir unauslöschlich geblieben. Ich glaube, es waren gut und gerne über hundert Personen, die am Akt der Ordensverleihung teilnahmen. Es war jedenfalls ein ziemliches Gedränge, denn die Auberge de l‘Ill war ja keine Festhalle, sondern eher für kleinere Gästegruppen eingerichtet.

Dieser räumliche Umstand nahm dem gleichwohl würdevollen Anlass aber die Spitze einer «staatlichen Zeremonie» oder dem eines «patriotischen Rituals». Aber es war vor allem Paul Haeberlin selber, der mit seinem elsässischen Charme und der Natürlichkeit grosser Künstler eine herzliche und freundliche Stimmung verströmte. Sie entsprach übrigens auch der zurückhaltenden Art des Staatspräsidenten Valéry Giscard d‘Estaing, der dann anschliessend beim Bankett eine lockere Rede voller Humor hielt und dabei etliche herzliche Lacher erntete. Es war ein ungezwungen familiäres Fest, so wie es im Elsass Tradition hat.

Zwischen dem Apéritif und dem Bankett gab es genug Zeit, um die Küche ausgiebig zu besichtigen, wo der Sohn von Paul Haeberlin, Marc, die Aufsicht innehatte. Ich war erstaunt, wie bereitwillig sich Paul Haeberlin zum Gruppenporträt mit den anderen Grössen der Gastronomie, zumal mit Hans Stucki vom Restaurant «Bruderholz chez Stucki» und Paul Bocuse «dirigieren» liess. Immerhin gab das einmalige historische Aufnahmen, wovon einige auch im grossen Buch über Hans Stucki enthalten sind - dem Buch, das nach dem Tod des Basler Sterne-Kochs von seiner Frau Susi herausgegeben wurde.

Das Menü ist es wert, ausführlich beschrieben zu werden. Und zwar vorab aus dem Grund, weil es eine grosse Reverenz an die einheimischen Produzenten und Freunde von Paul Haeberlin ist: Eine grosse Küche und ein grosser Künstler des Geschmackssinns kann sich nur entfalten, wenn auch das Material für die Schöpfungen von erstklassiger Güte sind. Paul Haeberlin verstand es hervorragend, die besten elsässischen und französischen Winzer für sich und deren Produkte für sein Haus zu gewinnen.

Der Ruf, den Paul Haeberlin und seine Familie mit der Auberge de l‘Ill aufbaute, kam dem ganzen Elsass, der ganzen elsässischen Gastronomie zugute. Eine grossartige Leistung, die aber leider nicht allenorten in demselben Mass Nachahmung oder Würdigung fand und findet: Auch die elsässische Gastronomie ist nicht von Schnellfutter-Buden verschont worden. Die Rationalisierung in den «gewöhnlichen» Betrieben und die erkleckliche Teuerung durch den Euro haben wie allenorten in Frankreich zu einer bedauernswerten Verflachung der Qualität im Anspruch und in der Leistung geführt. Um so wichtiger ist die Vorbild-Funktion, wie sie von Paul Haeberlin und seiner Familie oder von Emile Jung in Strassburg ausgeübt wird - für die Branche und für die gesamte Wirtschaft!

Das Menü am Fest der Ordensverleihung bestand sowohl aus einheimischen elsässischen Komponenten wie auch aus Elementen der grossen französischen Gastronomie. So gab es zum Apéritif «le Crémant de Cramant» aus dem Hause G.H. Mumm, begleitet von einer elsäsischen Spezialität, dem Flammeküecha. Gewöhnlich wird der als Fladen zubereitet, geviertelt und gerollt von Hand gegesen. Paul Haeberlin kreierte jedoch eine Variante, die dem Ur-Flammeküecha am nächsten kommt: Nämlich ein Stück Teig, das die Hausfrau in den oberhitzigen Holzbackofen warf, um damit die Temperatur einschätzen zu können. Die Kinder, die helfen mussten das Holz hereinzutragen, erhielten das Teigstückchen mit etwas «Bibbelekaes» oder Kompott angereichert zur Belohnung. Paul Haeberlin reicherte das Teigstückchen mit seiner Kreation an, die zwar dieselben Bestandteile enthielt, wie die inzwischen zur Tradition gewordenen «Auflagen» von «Bibbelskaes», Zwiebelringen und Speck, dessen Fett durch die Oberhitze kurz entflammt wird und dem Fladengebäck seinen Namen gibt.

Zum Apéro gabs als «amuses bouches» zudem «les toasts de foie gras et les oeufs brouillés aux truffes».

Hier die weitere Aufzählung der Speisen der jewiligen Gänge sowie die Getränke und deren Produzenten:

• La salade tiède de merlan et de langoustines, friture de salsifis et vinaigrette à la coriandre.

• Pinot blanc 1983 von Trimbach, Ribeauvillé.

• Le cornet de homard breton au vieux riesling et le rizzotto de blé vert.

• Riesling Cuvée Particulière 1985 von Beyer, Eguisheim.

• Le filet de chevreuil en pot-au-feu aux truffes fraîches.

(Wer noch nie echten Trüffel gehabt hat, weiss auch nicht, wie er schmeckt. Ich kann nur sagen: das erste Erlebnis mit Trüffeln ist schlicht betörend und nicht in Worte zu fassen. Kunststück, kostet ein Kilo fast so viel wie ein Auto…)

• Nuits Staint-Georges Clos de la Maréchale 1980 von Faiveley.

• Les deux Munster d‘Alsace (selbstverständlich aus Rohmilch!).

• Gewürztraminer Sélection Grains Nobles 1976, von Huegel Riquewihr (eine grosse elsässische Spezialität).

• La petite charlotte au pain d‘épices et la tulipe aux fruits d‘hiver, gefolgt vom Café und eaux de vie d‘Alsace sowie einem köstlichen Armagnac 1923 von Sempé.

Gegen zehn Uhr erhob sich der Präsident und gab damit das Zeichen für den Aufbruch der Gäste. Germain Muller, der grosse elsässische Kabarettist aus Strassburg und frühere Kolumnist der Basler National-Zeitung, jedoch - mit dem ich am selben Tisch sass -, gab mir zu verstehen, dass ich noch etwas sitzen bleiben sollte. Als die Angestellten alles abgetragen hatten und es beinahe still im Hause wurde, brachte uns Paul Haeberlin… einen Wurstsalat - tout simplement… Das war Paul Haeberlin: nobel im Métier, bescheiden als Mensch!

Das Festmahl war einmalig, die Stimmung der Gäste ebenfalls, und ich bin Paul Haeberlin dankbar für dieses Erlebnis, an das ich mich stets erinnern werde wie ich auch ihn in Erinnerung behalten werde.





Introduction und Menu an der Ordensverleihung




Original des Begrüssungstextes von Pierre Haeberlin.




Ausschnitt aus dem Original-Mansukript von Paul Haeberlin für die Ansprache nach der Ordensverleihung (mit «Pausen-Notationen», die er mit einem Filzstift im Schreibmaschinen-Text vornahm).



Ganzer Wortlaut der Ansprache von Paul Haeberlin

Monsieur le Président,

En venant ici ce soir pour la première fois dans notre maison, permettez-moi de vous dire, quel immense plaisir et quel honneur nous ressentons tous et toutes.

Bien sûr, je suis le premier comblé d'honneur et je vous remercie du fond du coeur pour avoir accepté de me remettre vous-même cette haute distinction.

Je vous rermercie également pour les mots bienveillants que vous m'avez adressés.

Vous nous avez déjà honorés, mon frère et moi, mais vous avez surtout honoré la cuisine française en étant le premier Chef d'Etat à recevoir dans votre Palais de l'Elysée, les grands cucuisiniers lors de la remise de la Légion d'Honneur à notre ami Paul Bocuse. De tout cela soyez encore remercié.

Notre maison est à la fois le lieu où s'est développée depuis des générations une vie familiale et harmonieuse, toute dans la tradition alsacienne et le savoir-faire de la cuisine française.

Depuis plus de cent ans notre famille a fait progresser un petit restaurant sur les bords de l'Ill, en une maison dont on veut bien reconnaitre les mérites et qui, si tout va bien, fêtera cette année ses 20 ans de trois étoiles.

Cette renommée est dûe à la constance et au labeur journalier, de tous ceux et celles qui y travaillent. Et c'est tout cela que vous honorez à travers moi aujourd'hui.

Je repense avec émotion aux générations passées qui ont oeuvré dans notre maison. Mes grands-parents, ma tante Henriette, mon père et surtout ma mère qui, malgré ses 91 ans, nous entoure de son affection et reste toujours active et présente.

Je peux aussi regarder avec confiance vers l'avenir, car mes enfants Marc et son épouse, Danielle et son époux, sont là, prêts à assurer la continuité, dans le même esprit et le même attachement aux valeurs familiales.

Autrefois, les femmes étaient au fourneau et c'est en leur compagnie qu'est née ma vocation, car dès mon jeune âgé, j'ai toujours rêvé être cusinier. C'est grâce à Monsieur Weber, un grand chef qui avait cuisiné à la cour du Tsar et chez le Roi de Grèce, que j'ai été initié à la grande cuisine.

Malheureusement, la guerre déchira notre famille; envoyant mon frère dans la Wehrmacht et moi-même dans la 1ère Armée, comme cuisinier à l'Etat-Major du Général de Lattre de Tassigny. C'est là peut-être, Monsieur le Président, que vous avez pu goûter pour la première fois à ma cuisine étant vous-même jeune conducteur de char dans cette armée. C'était l'époque des boites de boeuf et de haricots. Plus personne n'en voulait. J'ai imaginé d'en faire deux spécialités alsaciennes : les fleischkichla et les fleisch-schnacka, et tout le monde en redemandait.

Permettez-moi, Monsieur le Président, de m'adresser un court instant à mes proches.

Jean-Pierre, je te remercie' d'avoir renoncé à ton métier de peintre et d'architecte qui t'était alors destiné pour t'engager à fond dans l'Auberge, mettant tes grandes qualités humaines et ton goût du beau au service de l'accuel et au constant embellissement de notre maison.

Et toi, Marie, discrète et efficace, toujours présente et bienveillante, tu as donné une âme à cette maison. Ma profonde gratitude est pour toi particulièrement, en ce jour de fête.

Je vous renouvelle, Monsieur le Président, mes vifs remerciements, ainsi qu'à vous tous qui êtes venus partager ma joie ce soir.

Von Jürg-Peter Lienhard

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