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Artikel vom 13.12.2007

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Basel - Kultur

Plakative Winterfreuden

Tourismusplakate und private Fotografien in der neusten Ausstellung der Basler Plakatsammlung auf der Lyss (bis 20. Januar 2007)

Von Aurel Schmidt



Das gab es damals noch: Schnee im Birsigtal und erst noch genug zum Schlitteln… Plakat des Verkehrs- und Verschönerungs-Vereins des Birsigtals, Reinster Jugendstil um 1905, Initialen von BW. Druck: Wassermann & Schäublin, Basel.


red.- Wintersportplakate erleben in den letzten Jahren einen Boom sondergleichen. Sie sind sehr gesucht und werden entsprechend hoch gehandelt. Eine Gelegnheit für die Basler Plaktsammlung, die zur Schule für Gestaltung gehört, vom Samstag, 15. Dezember 2007, bis Sonntag, 20. januar 2008, in den vielen Schubladen im Kellergeschoss der Alten Gewerbeschule zu kramen und die schönsten und interessantesten Plakate fü den Wintertourismus zu einer prächtigen Schau zusammenzustellen.

Ergänzt werden sie durch eine Anzahl von privaten Fotoalben, die eine teils ähnliche, teils völlig andere Sicht auf die Bergwelt und ihre temporären Gäste zeigen.

Die beiden Medien unterscheiden sich in der Optik wie im Gebrauch: gross und klein, öffentlich und privat, gezeichnet und fotografiert, realistisch und idealisiert. Die Konfrontation regt zum Vergleichen und zum Genauen Hinschauen an.

Zur Ausstellung gibt es eine Begleitpublikation mit einem Aufsatz von Aurel Schmidt, Autor von webjournal.ch.




Paar im Pferdeschlitten - mysteriös wirkendes Fotosujet von Philippe Giegel (Foto) und Franz Fässler (Grafik) von 1962 - modern über seine Zeit hinaus geblieben trotz Zylinder auf dem Kopf des Mannes.


Landschaft – ausgeräumt, eingeräumt

-- Von Aurel Schmidt --


Die ersten Skifahrer

Am 23. März 1894 unternahm ein prominenter Engländer eine Skitour von Davos nach Arosa. Es war Arthur Conan Doyle, der Schriftsteller, der seine Romanhelden Sherlock Holmes und Professor Moriarty, deren er überdrüssig geworden war, am Reichenbachfall in den Abgrund stürzen und sterben liess. Die Schweiz stieg damals gerade zum Tummelplatz („playground“) Europas auf, wie ein anderer Engländer, Leslie Stephen, meinte.

Sieben Stunden war Doyle unterwegs, bereits um elf Uhr erreichte er sein Ziel. Die Menschen in Arosa dachten, dass er unmöglich vor ein Uhr mittags eintreffen könne. Als sie begannen, nach ihm Ausschau zu halten, sass er schon eine Weile beim Mittagessen.

Doyles Tat regte die englische Skibegeisterung gewaltig an. Ob auch die Schweizer sich davon hinreissen liessen, ist eine andere Frage.

Für die Fortbewegung in den Bergen und in schneereichen Gegenden haben sich die Mensch seit jeher geeigneter Mittel bedient wie Schneeschuhe oder Schneereifen, mit denen sie über den Schnee laufen, nicht aber gleiten konnten. Die Durchquerung Grönlands von Fritjof Nansen auf Skiern im Jahr 1888 wird als Signal für den Skisport angesehen. Der Glarner Christoph Iselin hatte sich von Nansens Unternehmen motivieren lassen und ein paar Gleitschneeschuhe konstruiert, die später Skier genannt wurden. Seine ersten Versuche, sich damit fortzubewegen, unternahm er zur Nachtzeit, um nicht ausgelacht zu werden.

Die Briten hatten weniger Bedenken. 1902 gründeten sie einen englischen Ski-Club. Erst zwei Jahre später folgten die Schweizer mit einem eigenen. In der Schweiz überwog lange Zeit die pädagogische Absicht der körperlichen Ertüchtigung, während die Briten einfach sehen (und wetten) wollten, wer am schnellsten einen Hügel oder Berghang hinuntersausen konnte.

Hochbetrieb in den Skistationen

Heute ist der Wintersport eine Bruttosozialproduktmaschine. Die Schweiz weiss, was auf dem Spiel steht. Bleibt der Schnee aus, werden die Berghänge künstlich beschneit. Der Winter setzt nicht in Übereinstimmung mit den meteorologischen Tatsachen ein, sondern pünktlich dann, wenn die Beschneiungsanlagen in Betrieb genommen werden und dem Schneefall nachhelfen.

Die Skisaison wird generalstabsmässig geplant und die Hotels müssen frühzeitig, möglichst ein Jahr im voraus, gebucht werden. Das investierte Kapital muss rentieren. Der Kanton Graubünden lebt zur Hälfte vom Tourismus, der Ägypter Sawiri lässt in Andermatt ein Resort erstellen (mit Auswirkungen bis Altdorf und Biasca), Zermatt ist mit dem Lötschbergtunnel für Basel und Bern eine Stunde näher gerückt. Es herrscht Aufbruchstimmung.

Die Verkehrsdirektoren dürfen mit ihren Bemühungen keinen Augenblick nachlassen, sonst ist die Kundschaft weg. Immer neue Aufstiegshilfen, so werden Kabinen- und Sessellifte genannt, müssen eine immer grössere Zahl von Menschen in eine gute Ausgangslage für die sausende Fahrt über die strahlenden Schneeflächen befördern. Entsprechend herrscht tagsüber Hochbetrieb auf den Pisten.

Erwartungen damals und heute

Aber es scheint einmal ganz anders gewesen sein. Auf Plakaten für Winterferienorte, die bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können, fällt auf, wie Bilder der stillen, unberührten Landschaft und der in sich ruhenden Natur eingesetzt wurden, um die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundschaft zu wecken. Die einfache Sprache der winterlichen Landschaft, mit viel Schnee auf Wegen, Pisten, Pfosten, Ästen genügte vollauf als Werbebotschaft. Die leere, wie ausgeräumte Landschaft, die suggeriert, noch von keinem Menschen zuvor betreten worden zu sein, versprach Einsamkeit, Erholung und innere Einkehr.

Heute wird damit kaum noch ein Mensch vom Computer oder Fernseher weggelockt in die winterliche Natur. Der moderne Turbo-Tourist will beim Skiurlaub auf die jahresdurchschnittliche Hektik auf keinen Fall verzichten, er kann es wahrscheinlich gar nicht. Sie gehört zu seinem Rhythmus. Das Warten am Skilift, das wie der Stau auf der Strasse zum normalen Leben gehört (niemand stört sich daran, niemand beschwert sich, alle wissen, was sie erwartet), wird durch Après-Ski-Shopping, Barbesuch, Wellness und Viergang-Menü mehr als kompensiert, eigentlich belohnt. Kinos stossen in Wintersportorten nur auf geringe Nachfrage, ein Kammerkonzert in der Ortskirche schon eher. (Um wieviel einfacher sind dagegen die Sommerferien. Aber die Tage sind länger, man kommt abends viel später von der Bergtour zurück. Das macht viel aus.)

Auf diese Weise, und ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, machen Plakate aus der Vergangenheit im Vergleich mit den Verhältnissen der Gegenwart auf den eingetretenen gesellschaftlichen Wandel aufmerksam.

Landschaftsmalerei als Projektionsfläche

Um Gäste anzulocken und ein Loblied auf die eigenen Vorzüge anzustimmen, haben die Ferienorte zu allen Zeiten Werbung gemacht, früher mit Plakaten, unter denen es solche gibt, die heute zu Sammlerpreisen gehandelt werden, neuerdings mit Prospekten, Filmen, Werbespots, Internet und so weiter. Der Werbeaufwand ist im gleichen Verhältnis wie die zunehmende Gästezahl gestiegen.

Das Plakat trug die ihm zugedachte Botschaft in leicht verständlicher, sozusagen plakativer, wenn nicht provokativer Form (das heisst mit der Stimme eines Fürsprechers) in die Öffentlichkeit.

Die einsame Schneelandschaft steht im Dienst der Werbestrategie, stellt aber auch ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Landschafts- und Bergmalerei dar. Den Anfang machen Caspar Wolf, Joseph Anton Koch, Alexandre Calame und der Genfer Schule. Dazwischen haben die ersten Fotografen die Alpen entdeckt, zum Beispiel der jüngere der französischen Brüder Bisson, Auguste Rosalie, der 1861 und 1862 den Gipfel des Mont-Blanc bestieg, um Aufnahmen zu machen. Dioramen zogen das Publikum an, später Panoramen wie das „Panorama des Alpes“ von Auguste Baud-Bovy an der Weltausstellung 1892 in Chicago. Die Imax-Vorführungen setzen die Technik der Panoramen mit modernen Mitteln in der Gegenwart fort. Die wichtigsten Landschaftsdarstellungen sind heute auf Postkarten (es ist immer schönes Wetter) und auf Verkehrsprospekten zu finden (auch immer mit blauem Himmel), auf denen in Vogelschauperspektive die Spazierwege im Sommer und die Skipisten, Seilbahnen und Sessellifte im Winter eingezeichnet sind.

In der Landschaftsmalerei bildet das Plakat ein eigenes Genre zwischen Kunst und Werbung. Ein paar Kriterien lassen sich festhalten: Die plakative Vereinfachung hat die Aufgabe, den Blick einzufangen; nicht Information steht als Absicht im Vordergrund, sondern emotionaler Appell; die Landschaft wird nicht oder nicht zwingend bis ins letzte Detail ausgeführt, sondern nur die wesentlichen Züge werden festgehalten, oft in zeichenhafter Vereinfachung, in einer an Ferdinand Hodler erinnernden Art. Naturalistische Ähnlichkeit wird also nicht angestrebt. Die Landschaft im Wintersportplakat ist eine Projektionsfläche.

Der Landschaftsgeniesser

Das lässt sich schön beobachten, wenn auf alten Exemplaren fast toposartig ein Mensch zu sehen ist, der die Natur wie eine Bühne betritt, die ausschliesslich für seinen Auftritt bestimmt ist. Das alles gehört mir, scheinen die Menschen zu sagen, niemand kann es mir nehmen (weil niemand weit und breit da ist, der es nehmen könnte; von einem Konkurrenten, der bekanntlich ein Mitläufer ist, fehlt jede Spur).

Die Aufmerksamkeit zoomt auf den alten Plakaten häufig den Solo-Skifahrer heran, der unterwegs Halt macht und hinaus auf das Land und über die Landschaft hinweg schaut – in der gleichen Pose, die der Betrachter des Plakats einnimmt, der das gleiche sieht wie der Betrachter oder Avatar auf dem Plakat.

Zwei Wintersportler kann man auf den alten Plakaten auch antreffen, aber seltener. Meistens sind es ein Mann und eine Frau. Drei, vier oder mehr Menschen sind dagegen schon eine Ausnahme. Es gehört zum unterstellten Anspruch, dass dem Gast die Landschaft zur freien Verfügung angeboten wir, ohne Beeinträchtigung anderer Gäste. Treten doch einmal mehrere Menschen in einer Gruppe auf, sind sie wie ein Ballett angeordnet oder wie ein Vogelflug. Die Volatilität ist natürlich eine Anspielung auf das phantastische Gefühl des Gleitens über die Schneedecke beim Skifahren.

Es muss schon ein gewaltiges Versprechen in diesen szenografischen Anordnungen liegen, die glauben machen wollen, es gäbe noch die zum Alleingenuss bestimmte Natur. Vielleicht war es tatsächlich einmal so gewesen, aber das ist lange her. Heute wird die zur Skipiste umgebaute und für sportliche Zwecke möblierte Landschaft nicht genossen, sondern zur sportlichen Erholung gebraucht beziehungsweise schlicht und ergreifend konsumiert wie eine Ware: wie eine bequeme Polstergruppe oder ein Parfum. Die Pisten sind planiert, die gefährlichen Stellen glatt rasiert und eliminiert, Unfälle sollen vermieden werden. Erst den Sommertouristen wird sich in der ganzen Schrecklichkeit offenbaren, was die Menschen zur Befriedigung ihrer Winterwut angerichtet haben.

Grafische Lösungen

Wenn der Tourist vor dem Plakat als Projektionsfläche träumen darf, gilt das auch für den Grafiker und Gestalter des Plakats, der nach einer traumhaften Lösung sucht. Er ist frei in seinen Erfindungen, unter der Voraussetzung, dass als eye catcher der Namenszug der Destination, wie es in der Fachsprache heisst, in unübersehbaren Lettern prangt und in die Augen springt: Arosa, Davos, Engelberg, Grindelwald, Mürren, St. Moritz. Darauf kommt es an. Wenn man einmal von „Ettingen, Flüh, Metzerlen“ absieht (in der Nähe von Basel; die Winter waren vor fünfzig Jahren und mehr noch kälter als heute, der Schnee blieb länger liegen, ein Hügel zum Skifahren oder Schlitteln vor der Haustür tat es auch), waren es die renommierten Orte, die auch am rührigsten waren. Sie konnten mit einem Stammpublikum rechnen und waren durch ihr erworbenes Ansehen in der Lage, ihre Werbung noch zu potenzieren, so dass man von einer selbsttätigen Erfolgsdynamik sprechen kann.

Der Namens- und Schriftzug ist das zentrale gestalterische Mittel, alles andere ist Zutat, auch das Landschaftsbild. In diesem Katalog liegt der Akzent bei der Auswahl der Abbildungen ausdrücklich auf grafischen Beispielen. Für die Plakate lassen sich generell zwei Kategorien unterscheiden. Entweder gibt der Bildeindruck den Ausschlag oder die synthetisierte Information. In der ersten Gruppe fällt das repetierte Motiv der Skispur auf, ein auffallend häufig eingesetztes Mittel, das in eine bewegte, schwungvolle, meistens dekorative Linie übergeht, die keine Aussage macht, sondern eine visuelle, gestalterische, allerdings auch thematisch einleuchtende Funktion (so beschwingt ist das Skifahren) erfüllt.

In der zweiten Kategorie überwiegt die grafische Idee. Bildelemente (Landschaft, Menschen, Verkehrsmittel), Schrift, Farbe, Verwendung der Fotografie, Reduktion der Zeichen, Fokussierung auf bestimmte Aspekte, Collage und Montage sind Variablen, die nach bestimmten Vorstellungen arrangiert werden können. Auf dieser Grundlage entstehen Aussagen, die keine appellative Wirkung erzielen wollen, sondern von intellektueller Art sind und entsprechend gelesen werden müssen. Man sagt nicht „ah!“ (wie schön), sondern „aha!“ (Flims! Lenzerheide! und so weiter). Wenn es noch eine dritte Kategorie gibt, dann fällt das reine Künstlerplakat darunter.

Das Plakat, das für Winterfreuden wirbt, ist ein Ort, wo sich landschaftliche und sportliche Vorstellungen sowie gestalterische, grafische Problemlösungen treffen. Beide Teile gehen aufeinander ein, beide haben ihre Geschichte. Die Wintersportverhältnisse haben sich aus einfachen, beinahe idyllischen Anfängen entwickelt. Heute ist der Wintersport eine umfassende, hoch effiziente Industrie – so wie die grafischen Mittel, mit denen er propagiert wird, sich gewandelt haben und immer durchdachter, kunst- und wirkungsvoller, raffinierter geworden sind. Die hier versammelten Beispielen zeigen, was und wie es geschehen ist.

-- Von Aurel Schmidt --


Nützliche Informationen

«Winterfreuden - Tourismusplakate und private Fotografien»

Ausstellungsräume auf der Lyss, Spalenvorstadt 2, Basel (Alte Gewerbeschule/Universität, Tram 3/Bus 34)

Samstag, 15.12.2007 bis Sonntag, 20.1.2008

Vernissage: Freitag, 14. Dezember 2007, 18 Uhr

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag von 12 bis 19 Uhr
Samstag und Sonntag von 12 bis 17 Uhr

Geschlossen:
25. und 26. 12.2007, 1. und 2.1.2008

Tel. +4161 267 45 09

Von Aurel Schmidt


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