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Artikel vom 08.10.2004

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Konsensfechtereien

Peter Bichsel erkennt:

«Die Freisinnigen haben sich aufgegeben»

Das rechte Wort zur rechten Stunde

Von Redaktion



Stellt einen «Putsch mit legalen Mitteln» fest: Peter Bichsel.

Die «Schweizer Volksdemokratie» nach dem Gusto von Christoph Blocher hat den Schriftsteller Peter Bichsel zu einem Aufsatz herausgefordert, den die politische Sendung «Echo der Zeit» von Radio DRS am Freitag, 8. Oktober 2004, von Bichsel selbst gesprochen, ausgestrahlt hat. Das webjournal.ch freut sich, den äusserst bedenkenswerten Beitrag zum Befinden der Schweiz in der Blocher-Aera, mit freundlicher Genehmigung des Autors, mit-veröffentlichen zu dürfen.

-- Von Peter Bichsel --

Vorerst möchte ich festhalten, dass ich nicht im Sinn habe, hier die klärenden Worte zur Staatskrise zu sprechen. Ich kenne die dauernde Frage seit dem Tod von Frisch und Dürrenmatt: «Und, wo bleiben die Schriftsteller?» – wie wenn diese früher jene gewesen wären, die zu Staat und Gesellschaft Sorge getragen hätten.

Immerhin, sie haben sich mitunter Sorgen gemacht. Dürrenmatt mit seiner grandiosen Rede vom Gefängnis Schweiz, Frisch mit seinen Bemerkungen zum verluderten Staat Schweiz, beide kurz vor ihrem Tod vor 13 Jahren. Man nahm das höchstens als mehr oder weniger köstliche Beschimpfungen – oder vielleicht gar als ein bisschen Trost für dauernd beleidigte Staatswillige.

Zudem, die Zeiten galten damals als noch einigermassen gut.

Es gab zwar die lauten Töne der SVP bereits, aber der Staat war noch in den Händen einer selbstsicheren freisinnigen Partei. Das war schon immer so, und so sollte es auch bleiben.

Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit waren über 150 Jahre die eigentlichen Grundlagen dieses Staates: Eines Staates mit einer Verfassung und ohne Verfassungsgericht, mit einer Regierung, die eigentlich nie so richtig eine Regierung war und nie so richtig definiert war – nicht einmal die Vorstellung «Kollegialbehörde» war reflektiert und durchgedacht, sondern eben halt selbstverständlich – man hatte es nicht zu wissen, sondern zu erahnen und eben zu spüren.

Konsens ist nicht etwas, das man regeln muss.

Der moderne Staat Schweiz von 1848 (also nicht jener von 1291, den die SVP inzwischen für sich beansprucht, als besässen nur sie die ganze Geschichte), der moderne Staat Schweiz ist aus Revolutionen hervorgegangen, aus der französischen Revolution, und aus den Revolutionen in einzelnen Kantonen von 1830.


Die Liberalen waren die Sieger, und Sieger behüten ihre Macht. Der Staat von 1848 war so etwas wie ein Einparteienstaat der Freisinnigen unter Zulassung von mehr oder weniger konsensbereiten Minderheiten. In den ersten Jahrzehnten gab es nur freisinnige Bundesräte.

Eine Regierung war nicht nötig, der Konsens genügte.

Und der Staat wurde nicht eigentlich vom Bundesrat geführt, sondern von der Verwaltung. Die Schweiz war ein verwalteter Staat, und das hat über 150 Jahre funktioniert.

Bis heute.

Nun ist der Konsens zu Ende, die Kollegialbehörde zur Farce geworden. Das bedeutet noch nicht das Ende einer Welt, aber mit ziemlicher Sicherheit das Ende einer Partei. Die Freisinnigen, eine ehemals staatsfreundliche Partei, haben sich aufgegeben. Sie haben sich von ihrem eigenen Staat entfernt – Wirtschaft ist Ihnen wichtiger als Gesellschaft – und wenn schon eine Gesellschaft, dann bitte eine anonyme, eine «Schweiz AG». Für die Freisinnigen war Blocher der richtige Mann, die Freisinnigen haben ihn gewählt und dabei vergessen, dass Blocher nicht ihr Freund ist und mit ihnen noch Rechnungen offen hat.



Saurer Blocher-Tropfen: na dann Gsundheit Schweiz!

Die Folge ist so etwas wie ein Putsch mit legalen, demokratischen Mitteln. Blocher wird das wollen, was sich das «Volk» schon lange wünscht, eine starke, eine verdammt starke Regierung. Das Volk wünscht sie, das Volk ist der Souverän. Die verdammt starke Regierung wird demokratisch legitimiert sein.

Die Voraussetzungen für einen legal-demokratischen Putsch gegen den Konsens wurden vor 150 Jahren geschaffen. Warum tun jetzt alle so, als hätten sie es nicht gewusst? Als hätten sie nicht gewusst, dass dieser Staat Unanständigkeit nicht verträgt. Auch wenn es – zugegeben - mitunter nur Scheinanständigkeit war.

Und was wird? Ja, was wird? Die Freisinnigen sind – so wie sie es 150 Jahre geübt haben – am Abwarten, überzeugt von ihrer alten Macht und wissen nichts davon, dass sie vielleicht bereits abgewählt sind.

Ob das ein Ende wäre? Ich hoffe es nicht.

Peter Bichsel

Von Redaktion


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