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Artikel vom 18.07.2011

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Ottokars Cinétips

Spiel mir das Lied vom Kinotod

Nach Hollywoods 100-Jahr-Jubiläum die Frage nach der Zukunft der Kinos

Von Ottokar Schnepf



Das verschwundene Kleinbasler Kino «Union», den «habitués» als «Revolverküche» noch lebhaft in Erinnerung: Zwei Filme zum Eintritts-Preis von einem pro Vorstellung im Dunst der wohlig inhalierenden Raucher der «Logen», wo an den Vordersitzen Alumiumplatten zum Ausdrücken der «Gauloises-mégots» angebracht waren. Und wenn es am frühen Nachmittag nur wenig Publikum, zumal meist Schuleschwänzer hatte, konnte man die Beine auf die Vordersitze legen, wie der Sheriff in den gezeigten «Spaghetti-Western», und alle präpotenten Zuschauer marschierten in diesem breiten Schritt der «Cobboys» nach der Vorstellung durch die Klybeckstrasse hinaus ins «Oasis»… Foto (mit freundlicher Genehmigung): Peter Hauck, Basel © 2011


1910 kam der erste Film, der jemals in den Studios von Hollywood in Los Angeles gedreht wurde, in die Kinos. Danach wurde der Kinofilm zum grössten Unterhaltungsmedium aller Zeiten. Bis gegen Ende der fünfziger Jahre das Fernsehen die häuslichen Stuben eroberte und das Kino seine erste Krise zu überwinden hatte. Jetzt scheint es vor einer neuen zu stehen. Denn wer geht denn heute noch ins Kino, wo doch gleichzeitig mit der Kinopremiere im Kino derselbe Film zuhause auf dem grossen Flachbildschirm zu sehen ist. Hat somit das Kinosterben bereits begonnen?



Das waren noch Zeiten, als im «Captiol» das Billett 3 Franken kostete - auch wenn «nur» auf dem 2. Platz, einer Kategorie, die es heute im Zeitalter der Einheitspreise ebenfalls nicht mehr gibt. Auf dem Logo wird deutlich, woher das noch heute existierende Kino seinen Namen her hat - aus den USA, nämlich, aber nicht aus Hollywood… Immerhin heisst es im Logokranz: «Unser Ziel ist Dein Vergnügen». Foto Peter Hauck, Basel © 2011

Er kommt auf leisen Sohlen: der Kinotod. Schon 1972 hat Jean-Pierre Melville («Le Samourai») prophezeit: «Das Kino wird etwa im Jahre 2020 verschwinden». Wie recht er hatte!

Erschreckend ist allein schon die Zahl der Kinos, die seither in Basel verschwunden sind: Alhambra, Palermo, Palace, Odeon, Scala, Maxim, Union, Clara, Ciné-Miroir, Royal, Tell, Roxy, Corso, Morgarten, Forum.

Und die inzwischen neu entstandenen Kinosäle - sie verdienen die Bezeichnung Lichtspieltheater nicht wirklich: Was für Filme zeigen die uns? Da gibt es die Pathé- und die Kitag-Kette, die sogenannte Mainstream-Filme auf ihren Programmen haben. Damit sich die beiden Konkurrenten - Pathé besitzt die Kinos Küchlin (mit 7 Kinosälen), das Eldorado (2) und das Plaza; Kitag gehören die Kinos Capitol (mit 2 Kinosälen), das Rex (2) und das Studio Central - nicht in die Quere kommen, spielen sie beide dieselben Filme zur gleichen Zeit…

Pathé meistens in mehreren Sälen in deutscher Synchronfassung und im Original mit Untertiteln. Somit bewahrheitet sich eine weitere Voraussage, über die in Filmkreisen vor Jahrzehnten gelacht wurde, als Herr Berger von den Warner Brothers Zürich die Voraussage wagte, dass bis in nicht weiter Zukunft alle Filme so wie in Deutschland nur noch in deutsch synchronisierter Fassung gespielt würden.

Vom Studio- zum kult.kino

Die dritte Kinokette in Basel nennt sich seit einigen Jahren kult.kino. Zuvor waren diese Kinos - Atelier , Camera , Club, Movie - unter der Bezeichnung Studio Kinos bekannt. Auf deren Programme sind jene Filme anzutreffen, die für ein eher intellektuelles Publikum gedacht sind und weniger in die Basler Kinomeile Steinenvorstadt passen.

Das will aber nicht etwa heissen, dass diese Studio-, pardon Kult-Filme, die qualitativ besseren sind. Hingegen sind sie meistens langweilig und beinahe niemand will sie sehen. Vor allem die Dokumentarfilme, abgekürzt Doku, die seit Jahren die kult.kinos überschwemmen, sind manchmal fast eine Zumutung für den Kinobesucher - und gehören besser ins Fernsehprogramm nach Mitternacht.

«Dokumentarfilm, ein Kino, das so langweilig ist wie eine Forschertagung im Salle Pleyel» (François Truffaut). Nicht weniger positiv über den Dokumentarfilm äusserte sich Jean Renoir: «Dokumentarfilm ist das am wenigsten authentische Filmgenre überhaupt».

Aber allem Anschein nach findet der Dokumentarfilm seine Anhänger. Warum denn sonst würde beinahe jeder, der eine Videokamera besitzt, die Überzeugung haben, er müsse einen Doku-Film drehen? Zum Beispiel wenn nach dem Ableben seiner Grossmutter deren Wohnung geräumt wird. Oder wie sein Kanarienvogel langsam aber sicher richtiges Deutsch sprechen lernt. Alles unter dem Deckmantel, dass das, was wenige interessiert wertvoller ist, als das, was die Masse interessiert.

Phantasielos und langweilig

Die Leute, die dem Dokumentarischen zugeneigt sind, lassen sich manchmal dazu überreden, sich auch einen Spielfilm anzusehen. Aber es fällt auf, dass ihr Geschmack sie realistische Handlungen bevorzugen lässt. Und auf dieses Publikum scheinen viele junge Filmemacher ihre Kamera-Augen zu richten, indem sie lustige oder traurige, meist jedenfalls phantasielose Geschichten inszenieren.

Verlangt es die berufliche Stellung, solche Filme tagtäglich zu begutachten, hat man bald einmal genug von diesen Storys (red. Anm.: Schnepf ist professioneller Filmjournalist). Autorenfilmer nennen sich die Schöpfer dieser Filmkunstwerke, die in den seltensten Fällen jedoch nie gelernt haben, ihr Metier wirklich zu beherrschen. Ein Beispiel aus dem Jazz drängt sich hier auf: Ein junger Musiker dudelte dem grossen Lester Young ein paar Be-Bop-Licks um die Ohren und fragte den Meister «Was sagst du dazu?» «Okay, okay» antwortet Lester, «but can you sing me a song?»

Von Bunuel bis Polanski

Wenden wir uns jetzt dem Mainstream-Film zu. Mainstream-Filme werden jene genannt, die für die breite Masse gemacht werden. Kein ehemaliges «Le Bon Film»- Mitglied würde je einen Kinosaal für einen Mainstream-Film betreten (red. Anm.: Schnepf ist Mitgründer des Film-Clubs «Le Bon Film»…). Aber was haben Fritz Lang, Robert Siodmak, John Huston, Alfred Hitchcock, Sam Peckinpah, John Ford, Akira Kurosawa, Billy Wilder, Louis Malle, Luchino Visconti, Claude Chabrol, Roman Polanski, Federico Fellini, Sergio Leone und...und...und für Filme gedreht? Minderwertige etwa, weil für die breite Masse, fürs Mainstream-Kino?

Nur noch Filme für Jugendliche

Es sind eben genau diese Genre-Filme, die im heutigen Kino nicht mehr - oder sehr, sehr selten - anzutreffen sind. Phantasievolle Filme, Abenteuer-Filme, Western, Krimis, Polit-Thriller. Filme mit traditionellen Erzählmustern, die einst den Reiz des Kinos ausmachten, sie fehlen im Kinoprogramm. Und trotzdem werden sie hin und wieder gedreht. Doch sie erreichen unsere Kinos nicht.

Denn Film- Verleiher, die für ihre Kinos die Filme auslesen, wollen nur solche, die Kasse machen. Filme also, die Jugendliche zwischen 14 und 25 ins Kino locken. Das sind Love-Storys unter Teenagern und Komödien ohne Tiefgang. Mit Stars, welche anstatt mit Charisma mit Sex aufwarten. Des weiteren in das Einkaufspaket des Filmverleihers gehört noch eine Anzahl Kinderfilme für das Kinopublikum von morgen, wenn möglich in 3D und Computer animiert.

Das Nachsehen haben Filme für Erwachsene, die gerne ins Kino gehen würden, wenn es etwas nach ihrem Geschmack gäbe, etwas, das sie interessieren würde. Melville: «Im Kino sind alle Mittel erlaubt, um die Zuschauer zu interessieren».

Filme gehören ins Kino

Ein Beispiel. In «Carlos» erzählt Regisseur Olivier Assayas die Geschichte des Superterroristen Illich Ramirez Sanchez, genannt Carlos. Kein Dokumentarfilm, die Geschichte ist teils Fakt, teils Fiktion. Regisseur Assayas verknüpft den weltbekannten Terroristen mit der grossen Politik in einem Cinemascope-Film, weit ausgreifend in jeder Hinsicht, und dabei zugleich ganz auf seinen zentralen Protagonisten und den Terrorismus der Siebziger- und Achtzigerjahre konzentriert.



Poster zum Film «Carlos» - beileibe kein «Doku-Film», sondern eine eigenwillige Film-Erzählung, die sich zwar an der Geschichte orientiert, aber Kino-Film im Sinne von Fiktion und Fakt ist.


Ein Film, der ins Kino auf die grosse Leinwand gehört. Warum aber muss der interessierte Kinogänger diesen Film zuhause auf DVD im Pantoffelkino ansehen, weil partout kein Kino ihn ins Programm nehmen will?

Fernsehen statt Kino

Dieses Beispiel ist nicht etwa ein Einzelfall. Es passiert von Jahr zu Jahr des öftern. Und so bleibt dem Filminteressierten kein andere Möglichkeit, als gewisse Filme im DVD-Handel zu erstehen. Doch Kinofilme gehören auf die grosse Kinoleinwand. Wenn sie nicht lediglich Menschen im Gespräch aufzeigen. Jene Art von filmischer Aufzeichnung, die Hitchcock mit berechtigter Verachtung «sprechende Leute photographieren» nennt.

Doch weil die Filme von heute auch für die Television gedacht sind, lassen die Regisseure die Menschen anstatt die Bilder sprechen. Nochmals Hitchcock: «Ein Filmregisseur hat nicht zu sagen, er hat zu zeigen!» Deshalb findet die Zukunft des Films nicht im Kino statt, sondern im Fernsehen. Jenes Medium, das die Kinomythen längst schon zerstäubt, die Stars zerstört und den Charme des einstigen Kinos zerbrochen hat.

(red.: Ottokar Schnepf ist als freischaffender Filmjournalist und Kinoexperte tätig. Kürzlich ist sein Buch «Licht aus, Vorhang auf, Film ab» erschienen.)


Von Ottokar Schnepf


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