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Artikel vom 12.12.2007

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Reusdals Räuspern

Man sagt X und meint U

Die Wirtschaft muss sich entscheiden, ob sie Wachstum oder Klima will

Von Mitch Reusdal



Wachstum «dieser Art» begann vor 60 Jahren. Der Planet ist ungefähr 5‘000‘000‘000 Jahre alt. Die ziviliserte Menschheit kletterte vor 15‘000 Jahren von den Bäumen herunter. In 60 Jahren hats dann vielleicht keine mehr - Bäume und Menschen… Das nennt die Wirtschaft eben «Wachstum»! red.


Economiesuisse äussert sich wiedersprüchlich. Der Wirtschaftsdachverband kritisiert höhere Energiepreise, die das Wachstum hemmen, und übersieht den klaren Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Klimabelastung.

Als aufmerksamer Zeitgenosse und Zeitungsleser erfährt man mehr über die Welt. Das lohnt sich immer. Weil man dann mehr weiss und einen besseren Einblick in den Betrieb des Zeitgeists erhält. Es wird leichter, die Attacken der PR-Branche in einer Welt, in der Selbstwerbung und Selbstdarstellung alles ist, zu durchschauen und abzuwehren, und schwieriger, sich ein X für ein U vormachen zu lassen.

Folgender Fall steht zur Diskussion. Die Basler Zeitung übernahm eine Meldung der SDA (der Schweizerischen Depeschenagentur), die besagt, dass Economiesuisse (der Dachverband der Schweizer Wirtschaft) «gegen Dirigismus» sei. Offen gestanden: Etwas anderes haben wir niemals erwartet. Dirigismus, wie garstig. Aber worum geht es genau? Im Vorfeld der Klimakonferenz von Bali kritisierte Economiesuisse «dirigistische Eingriffe des Staates», falls es diesem aus Klimagründen einfallen sollte, eine einseitige massive Verteuerung der Energie vorzunehmen, wie es die OECD (das ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) der Schweiz angeraten hat und wie es Bundesrat Moritz Leuenberger gern durchsetzen würde. Das Wachstums würde auf diese Weise gehemmt.

Das Wachstum, jawohl. Das ist ein Begriff, der offenbar keinerlei Hinterfragung zulässt. Gemeint ist wirtschaftliches Wachstum, gegen das keine Einwände zulässig sind. Wachstum muss sein. Wer Wachstum sagt, hat die Wahrheit auf seiner Seite. Wachstum ist eine Art Religionsersatz. Für mich hat Wachstum dagegen etwas mit Konstipation zu tun (richtig, das heisst auf Alt-Deutsch Verstopfung). Wir haben doch schon alles.

Auf keinen Fall darf das heilige unaufhörliche Wachstum durch eine Verteuerung der Energie gehemmt werden. Hemmungen schaden der Heimat. Munter drauf los ist besser. Die Folgen sind für später.

Noch mehr Wirtschaftswachstum?

Das wiederum bedeutet, dass das Klima ohne weiteres zugrund gehen kann, wenn nur das Wachstum nicht tangiert wird. Als ob nicht zwischen Wachstum und Klima ein unmittelbarer und offensichtlicher Zusammenhang bestünde. Der Bericht «Umwelt Schweiz 2007» hat darauf hingewiesen, dass das Wirtschaftswachstum sich nachteilig auf die Umwelt auswirkt. China ist ein abschreckendes Beispiel, was passieren kann.

Also muss man sich entscheiden, was Priorität haben soll: mehr Wirtschaft, mehr Wachstum und als Preis eine Klimaverschlechterung oder umgekehrt ein gutes Klima und ein bisschen Wirtschafts- und Wachstumsverzicht. Das ist eine Frage, die diskutiert werden kann und werden muss. Aber dass Klima und Umwelt, also die Zukunft (und also auch die Zukunft der Wirtschaft), für die Wirtschaftsverantwortlichen keine Rolle spielen soll, weil Wachstum Vorrang vor dem Klima zu haben hat, ist eine Position, die ebenso schwer zu verstehen wie zu akzeptieren ist.

Und nun der Zusammenhang, um den es hier geht. In der gleichen Ausgabe der Basler Zeitung mit der Agenturmeldung lässt Economiesuisse, Postfach, 8032 Zürich, auch ein Inserat folgenden Inhalts erscheinen: «Klimaschutz. Die Wirtschaft handelt.» Ein Unternehmer verkündet: «Wir wollen der nächsten Generation eine starke Firma (die eigene, Anm. M. R.) und eine gesunde Umwelt übergeben.»

Tönt gut. Übersieht aber, dass Energie viel zu billig ist. Man kann es zum Beispiel im Flugverkehr sehen. Für 46 oder 68 Franken nach Valencia oder Berlin zu fliegen ist verlockend, aber auch verheerend. Benzin ist so günstig, dass immer mehr Offroader Benzin verschwenden (aber seltsamerweise die erhöhten Transportauslagen immer mehr Anlass zu Sorgen geben).

Nur um gut auszusehen?

Wenn der zu Wort kommende CEO verspricht, Abwärme in das Fernwärmenetz zu speisen, kann man ihm dazu nur gratulieren, echt. (Es gibt noch zahlreiche Möglichkeiten, sinnvoll und Nutzen bringend vorzugehen.)

Trotzdem bleibt der Verdacht bestehen, dass das Klimapostulat nur ein scheinheiliges Mittel für die Wirtschaft zu Werbezwecken in eigener Sache ist. «Seht her, wir tun etwas» – aber nur, wenn es uns passt.

Zuletzt erhärtet sich der Verdacht, dass es nicht oder nur beiläufig um das Klima geht, sondern in erster Linie um Wachstum, das durch keinerlei Dirigismus gehemmt werden darf. Die Stellungnahme zur Energiefrage ist Realpolitik, das Inserat Schönwetterpolitik. Als ob ein sanfter Zwang, ein bisschen klüger zu sein und sinnvoll zu handeln, nicht von Gutem sein könnte.

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass weder Wachstum, Wirtschaft noch Wirtschaftswachstum ein Garant für Wohlstand sind, obwohl es gern so kolportiert wird. Erst wenn wir lernen, praktisch zu denken (und zu rechnen, das auch), mit ungewohnten, überraschenden Einfällen, wird sich etwas ändern, zum Wohl aller, und werden wir nicht mehr dem Glauben (Aberglauben) verfallen, dass der Heilsweg über mehr Wachstum und tiefere Energiepreise führt.

Von Mitch Reusdal


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