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Artikel vom 02.04.2004

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Theater

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle

Faust-Premiere in Dornach, im vollbesetzten Theatersaal des Goetheanums. Der Tragödie erster Teil am Donnerstagabend, 1. April 2004

Von Reinhardt Stumm



DORNACH.- Die Aufführung klappte wie am Schnürchen. Noch ein bisschen steif in den Gelenken, aber mit dem glänzenden Peter Engels als Mephisto und einem sehr überzeugenden Dirk Heinrich in der Titelrolle.

Das Vorprogramm am Nachmittag bestritten nicht nur die Regierungsvertreter der Kantone Solothurn und Ba-sellandschaft mit geistvollen Reden, auch Regisseur Wilfried Hammacher ergriff das Wort. Er spielte mit einem Bild, das der Holländer Paul Mackay - Vorstand am Goetheanum und verantwortlich für die Bühnen des Hauses - vorher gebraucht hatte: Das Schiff geht in See. Aber von wo aus, fragte Hammacher. Und wo fährt es hin? Und wer fährt mit?



Drei Fragen hat Faust, den die Einsicht quält, dass er nichts wissen kann. Drei Fragen bewegen der Tragö-die ersten und zweiten Teil: Was hält die Welt im Innersten zusammen? Wo ist die Wirkenskraft, die die Evolution vorantreibt? Wo ist der Samen, der Urstoff, aus dem alles entsteht? Wer erkennen will, muss die Instrumente schärfen, die für Erkenntnis nötig sind - und was für Naturwissenschafter selbstverständlich ist, sollte für Geisteswissenschafter ebenso selbstverständlich sein. Das ist der Ansatz für die Theaterarbeit, die hier in den letzten Monaten geleistet wurde.

Wir stolpern über die Begriffe. Gestaltung, Umgestaltung, Verwandlung, Erkenntnis, gegenläufige Kräfte, zwei Seelen in einer Brust, Willenstragödie - kein Fluss läuft rückwärts, was lebt, verändert sich, was sich nicht mehr ändert, ist tot. Wir berennen die Grenzen, um sie zu überwinden.

Horchen auf das Wort

Nur eine kurze Erinnerung an Faust I und Faust II in Basel, Erinnerung auch an freundliche Begegnungen zwischen den Basler und den Dornacher Theaterleuten und die Einsicht, dass hier nichts gegeneinanderläuft, dass sich auch nichts ergänzt, hier sind zwei Theaterwelten, die sich nicht berühren, die nichts gemeinsam haben, keinen Auslaufhafen, kein Ziel, nicht einmal die Sprache. Wer hierherkommt, wer sich in dieses wahrhaft grosse Haus setzt, hat Erwartungen an das Theater, die nur noch diese Bühne erfüllt. Da ist alles Gemessenheit und Gelassenheit, Mass und Beherrschung, Horchen auf das Wort, das auch ganz ungeniert und ohne Scham als Dichterwort bezeichnet wird.

Neue Akzente? Ein paar Formalien, immerhin. Das kühle Zurücknehmen überbordender Dekoration von früher, die die Schauspieler stützte, das ist es schon. Die jüngeren Schauspieler sprechen normaler, weniger «kunstvoll», weniger affektiert (wir würden das wohl so bezeichnen), und einige - wie eben Peter Engels als Mephisto - sind geradezu hinreissend gute Sprecher, denen man mit geschlossenen Augen zuhören möchte. Zu vermerken ist übrigens, dass die Hauptrollen (nicht zuletzt aus «Sicherheits»-Gründen) doppelt besetzt sind.



Wer zuschaut, erlebt das alles, Vergnügen und Herausforderung, Denkanreiz und Gefühlsimpuls, das Staunen und das Fragen, Zustimmung und Ablehnung, Parteinahme und Widerspruch, Abwendung und Hinwendung - und muss alle Antworten bei sich suchen.

Nur 28 Franken Subvention pro Besucher

Das Goetheanum ist anders geworden. Wörter wie RailwayTicket und Workshop werden nicht mehr als Hochverrat empfunden und entsetzen niemanden mehr. Man darf über Geld reden, man bekommt hemmungslos mitgeteilt, was diese Faust-Inszenierung gekostet hat (rund zehn Millionen Franken) und dass bis jetzt rund 5'500 Billette verkauft sind (von 17'000). Man erfährt auch, dass bei gleichgearteten Voraussetzungen ein Theatersitzplatz in Basel mit 288 Franken bezuschusst wird, im Goetheanum mit 28 Franken.

Dafür sehen wir Bilder von geradezu unirdischer Reinheit, die engelhaft durchsichtigen Farben der Gewänder der grazilen Eurythmistinnen sind wundervoll zart, ihre Bewegungen auch dann schön anzusehen,wenn man kein «Wort» von dem versteht, was sie vortanzen.



Das ist alles schön, aber eigentlich sekundär. Wichtiger sind die aufgerufenen Erinnerungen an Texte, die irgendwo hinten im Gedächtnis sitzen - nein, eben nicht irgendwo, sondern an den Knotenpunkten des Bewusstseins, dort, wo Fragen manchmal Klumpen bilden, die fast nicht aufzulösen sind - wer bin ich? Wer bist du? Was tun wir hier, ausser «tierischer als jedes Tier zu sein»? Und was tun wir nicht? Warum das alles? Und weil wir die Fragen ja kaum beantworten können, bekommen wir vielleicht wenigstens ein paar Hilfen, die Mass schaffen - wie gehen wir damit um? Sofern wir das Sensorium dafür noch haben.

Das volle Haus bedeutet ja was! Wer hierherkommt, erwartet keine Sensationen - im Gegenteil! Viele Fragen, ein paar Antworten. Vielleicht nur die Einsicht, dass du nicht ganz alleine bist. Dazu genügt der Text. Er ist gut genug. Immer noch!



Meister Wilfried Hammacher, der Regisseur der Faust-Inszenierung am Goetheanum

Ein bisschen eng mag das immer noch sein. Goethes Faust ist viel, du liebe Zeit, aber es gibt doch noch einen ganz ansehnlichen Rest. Den vergessen sie im Augenblick fast ganz. Das muss man nicht allzu ernst nehmen. Im Augenblick ist das Goetheanum «high». Sie haben sich grossen Respekt verdient!

Man könnte auch nur immer sitzen und zusehen. Der zweite Teil bietet, trotz aller angestrebten Nüchternheit, wundervolle Bilder. So schwimmen die Pharsalischen Felder zu Beginn der Klassischen Walpurgisnacht in betörend zartblauen Licht, an dem man sich gar nicht sattsehen kann. Mächtige Sphinxe beherrschen die Riesenbühne, auf der das bunteste Treiben herrscht. Das ist nicht nur sehr lebendig, es ist auch sehr heiter und vergnügt, und das nicht zuletzt, weil sich die Dornacher nicht scheuen, im guten alten Sinne des Wortes wirklich Theater zu spielen. Da ist ein bisschen von dem zu spüren, was Gustav Mahler meinte - zitiert von Niggi Ullrich, dem Basellandschaftlichen Kulturchef: «Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.»

Alle Fotos: Goetheanum. Simon Peter, Hamburg und Christiaan Stuten, Dornach © 2004

Von Reinhardt Stumm


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