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Artikel vom 11.03.2007

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Nebenbei bemerkt

Deutsch und deutlich…

…gesagt, hadert Rolf Dobelli in seinem neuen Buch mit richtigem Deutsch und anderem

Von Reinhardt Stumm



Dobelli ist der Erfinder der Eindampf-Literatur und glaubt, dass Fragen «indiskret» sind - es sind aber meist die Antworten! Eingedampftes Titelbild seines Buches, wie es vom Verlag ins Netz gestellt ist. (Titel, Legenden und alles ausser dem Text: jpl)


Auf dem Tisch das neue Buch von Rolf Dobelli: «Wer bin ich?». Die ersten Sätze heissen: «Wer Max Frisch kennt, kennt seine Fragebogen. Seit ich Max Frisch für mich entdeckt habe, bin ich ihnen erlegen.» Das ist, denke ich, falsches Deutsch. Erliegen ist ein Vorgang, kein Zustand.

Die Sätze müssen auf deutsch heissen: «Wer Max Frisch kennt, kennt seine Fragebogen. Als ich Max Frisch für mich entdeckte, erlag ich ihnen.» Auch dann kann er immer noch liegen, aber richtig. Es könnte übrigens auch wiederholtes, immer neues Erliegen geben. Immer neue Begegnungen mit immer gleicher Folge: Erliegen.

Dobelli meint aber Zustand. Man könnte das Wort Erlegenheit dafür erfinden. Analog zu Verfallenheit. Auch verfallen kann man einmal, um sich dann dauernd im Zustand der Verfallenheit zu befinden.

Wollen wir das so? «Wer Max Frisch kennt, kennt seine Fragebogen. Als ich Max Frisch für mich entdeckte, verfiel ich in Erlegenheit.»

Das Imperfekt ist einfacher. Lehrreich ist indessen, was wir abermals erfahren: Meistens genügt es im Deutschen, einen Sachverhalt ungefähr richtig darzustellen. Jeder weiss, was gemeint ist.

Einmal angefangen, kann man wieder nicht aufhören. Frisch, sagt Dobelli in seinem Vorwort ein paar Zeilen weiter unten, «hat die Frage zu einer wahren Kunstform ausgebaut, zu einer Umkehrform des Aphorismus. Die Frage geradezu als Steigerung des Aphorismus, weil sie mehr erlaubt, weil sie subversiver sein kann als der Aphorismus, boshafter, erhellender...»

Puuuh! Das verstehe, wer kann. Was ist ein Aphorismus? Ein Gedankensplitter, der kratzt und sticht. Zum Beispiel Karl Kraus: «Ein Journalist muss nicht nur nichts zu sagen haben, er muss auch unfähig sein, es auszudrücken.» Das letzte Glied einer Gedankenkette wie dieser Aphorismus von Voltaire: «La plus mauvaise roue d'un chariot fait toujours le plus de bruit!» Oder Lichtenbergs «Ein Mädchen, kaum zwölf Moden alt.»

Ok, das verstehe ich. Was aber wäre dann die Umkehrung solcher Gedankensplitter? Oder Maximen? Schauen wir bei Dobelli selber nach, er hat ja sein ganzes Buch voll:

Wenn Sie lügen, ohne zu wissen, dass Sie lügen, lügen Sie dann?

Mögen Sie Ihre Geheimnisse?

Wie viele Geheimnisse tragen Sie momentan mit sich herum?

Wie viele davon haben Sie bereits vergessen?


Das hat modischen Schick, keine Frage. Wozu es dienen könnte, weiss ich nicht. Zum Vergnügen? Aber wer erklärt mir, wo die Umkehrform eines Aphorismus sich versteckt hält?

Trösten wir uns mit Dobelli. Er sagt ja, es kann sein – muss also nicht. Trösten wir uns mit Lichtenberg: «Wenn die Fische stumm sind, so sind dafür ihre Verkäuferinnen desto beredter.»

Und weil es so schön ist, den allerletzten Schluss auch noch mal mit Lichtenberg (ich kenne nichts Besseres):

«Wer zwei paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.»




Rolf Dobelli, Jahrgang 1966, ist in Luzern geboren und hat in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Er war mehrere Jahre Finanzchef und CEO verschiedener Tochterfirmen des Swissair-Konzerns. Dobelli gründete mit Freunden 1998 die Firma «getAbstract», den «weltweit führenden Anbieter von Buchzusammenfassungen» (Eigenwerbung). Er lebt in Miami und Luzern. O-Ton Diogenes: «Er begann an seinem 35. Geburtstag Belletristik zu schreiben und schreibt seither wie besessen.»

Rolf Dobelli: «Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen». Diogenes Verlag, Zürich. 144 S., Fr. 26,90



Von Reinhardt Stumm

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Siehe auch: «Compressed Literature» in J.-P. Lienhards Lupe


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