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Artikel vom 11.02.2007

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Mit Stumm unterwegs

Endstation Begierde

«A Streetcar named Desire»: Christina Paulhofer («Cyrano») inszenierte im Schauspielhaus Basel «Endstation Sehnsucht» von Tennessee Williams - wie 1925 Eugene O’Neill in «Desire under the Elms» begreift auch sie «Desire» richtig als Begierde

Von Reinhardt Stumm



Szenenbild. Darsteller v.l.n.r. : Oliver Masucci, Mavie Hörbiger, Susanne-Marie Wrage. Alle Fotos: Judith Schlosser, Theater Basel © 2007


1947, als die Kowalskis zum erstenmal, in New York, auf einer Bühne standen, hatte das junge Ehepaar gerade genug Geld für eine kleine Zweizimmerwohnung an einer Strasse mit dem sehr poetischen Namen Elysäische Gefilde. Die lag im französischen Viertel von New Orleans. Einrichtung irgendwas zwischen Brockenhaus und Grossmutters Alterswohnung. Nicht anders war es zwei Jahre später im Zürcher Schauspielhaus, wo «A Streetcar named Desire» im November 1949 zum ersten Mal deutsch gespielt wurde.

Da war Tennessee Wiliams, nach schwierigen Anfangsjahren, nach dem Durchbruch mit «The Glass Menagerie» (1945) schon berühmt. Genau wie Arthur Miller, der 1947 mit «All my Sons» seinen ersten grossen Erfolg feierte.

Inzwischen sind Kowalskis schick geworden. Die Wohnung loftartig riesig, fast elegante Polstermöbel, altrosa wie der Überwurf auf dem riesigen Bett, Hausbar, Radio, kein einziges Buch, keine Zeitung, schwere Dampfwolken quellen durch die Badezimmertür, wenn Blanche ins Zimmer zurückkehrt.

Die übermannshohe gläserne Wand, die diesen Raum über die ganze Bühnenbreite hinten abschliesst, gibt freilich nicht den Blick auf Elysäische Gefilde frei, sondern auf die Häuser am Klosterberg. Es schreit auch kein karrenschiebender fliegender Händler mehr «Crabfish! – Crabfish!» auf der Strasse. Stattdessen stöckeln Prostituierte – starkblond mit Hündchen - an einem echten Basler Billettautomaten vorbei, und weder der noch sie sagen während der folgenden zwei Stunden und zwanzig Minuten (ohne Pause) warum. Ausstattung (Bühne: Alex Harb) ist wie so oft das Kunststück für sich, und der berühmte Wiener Architekt Adolf Loos, der einst sagte, Ornament ist Verbrechen, ist lange hinüber.



Oliver Masucchi


Die einzige Klippe übrigens, wie ich finde, über die man in dieser Inszenierung von Christina Paulhofer stolpern könnte: Überinszeniert, zuviel des Guten. Was sich als Misstrauen gegenüber der Geschichte deuten liesse. Wie die ohrenbetäubende, dröhnende Musik an den szenischen Übergängen. Wie die akrobatischen Tanzeinlagen – Show, dem Affen Zucker geben und sich damit im Grunde selber in den Hintern treten.

Das Stück hält. Eine spannende Geschichte und ein Fressen für Schauspieler. Zwei Frauen flüchten aus ihrem angestammten Milieu – einer reichen Pflanzerfamilie mit lebensfeindlichen, erstickenden Verhaltensnormen, wie Tennessee Williams sie immer wieder thematisierte («Cat on a Hot Tin Roof» zum Beispiel).

Zwei Männer versuchen, mit diesen Frauen umzugehen.

Stanley, ein polnischer Einwanderer, heiratet Stella, die ihn abgöttisch liebt. Ihn reizt ihre gebremste und nun freigelegte Sinnlichkeit. Ein Leben wie die Turteltauben.



Susanne-Marie Wrage, Mavie Hörbiger


Da hinein gerät eines Tages Blanche. Der Familienbesitz ist verloren, sie sucht in New Orleans Schutz und Geborgenheit. Da vergafft sich Stanleys Freund und Pokerpartner Mitch in die vornehme Allüre, die Blanche ausspielt (und Ibsen steht in den Kulissen und reibt sich die Hände - Lebenslüge als Thema).

Schauspieler schauspielern. Stella, vollrund in ihrer Ehe mit Stanley, krebst bei der neuerlichen Begegnung mit Blanche. Blanche ist entsetzt über das proletarische Gebaren ihrer Schwester. Stella verliert ihre gerade neugewonnene Sicherheit. Es bedarf gar keiner Worte, um das deutlich zu machen. Ein Gang über die Bühne, ihr unsicher gewordener Schritt, der theatralische Gestus, diese verlegene, gespielte Leichtigkeit, wie sie die Arme schutzbildend vor sich verschränkt, wie sie mädchenhaft schüchtern und wie entschuldigend über sich selber lacht, linkisch – und trotzig, aggressiv aufbegehrend, wenn sie sich nicht mehr zu wehren weiss – das ist grossartig. Grossartig, wie Mavie Hörbiger dieser Rolle weit über den Text hinaus das gibt, was mitgelesen werden muss: Wie unsicher die Freiheit sie macht, welchen Einfluss Erziehung und Comment immer noch über sie haben. Sie spielt eine neue Rolle, mit allen Unsicherheiten: den Abstieg aus ihrer Klasse!



Mavie Hörbiger


Getrieben von Blanche (Susanne-Marie Wrage). Blanche ist fasziniert und zugleich entsetzt und neidisch. Wrage folgt der Regie sehr genau, spielt das hinreissend und stark – und verunklärt dabei, wie ich finde, den Doppelaspekt dieser innerlich zerstörten Frau, sie spielt nicht, was wir von Blanche erfahren müssten, um den Schluss wirklich zu verstehen. Denn diese Frau ist ein zutiefst unglücklicher, hoffnungloser Mensch, der keine Zukunft mehr hat – und sie weiss es. Der Griff zur Flasche ist der Griff zum einzigen Rettungsanker, der ihr noch hilft, ihre Verletzlichkeit, ihre Schwäche zu überspielen. In Stella sieht sie die ihr verweigerte andere Möglichkeit – und sie weiss das. Die Begegnung mit Mitch weckt Hoffnungen, denen sie selber nicht traut. Ihre hochfahrende Allüre ist Theater, durchschaubarer Selbstschutz – mindestens die Männer kapieren das nicht! Und wenn sie am Ende zusammenbricht – von Stanley vergewaltigt –, wird lesbar, was wir längst wissen!

Frage, ob die Regie die tragische Dimension dieser Rolle unterschätzt hat. Ich denke, dass diese Blanche zu wenig durchsichtig ist, dass ihr dieses quälende Hin- und Herkippen fehlt. Ihre beängstigende Aggressivität, ihre Larmoyanz, die peinlich romantischen Blütenträume, ihre Sehnsucht nach Sicherheit, nach Frieden und gleich wieder dieses beleidigende Zündeln: «Im Bett mit deinem Polacken!»



Susanne-Marie Wrage


Stanley: Stoffhut, relaxed, ungeniert, bequem, erdig, empfindlich für Gesellschaftsschichtungen, mit einem – sagen wir mal – praktischen amerikanischen Gehör für Klassenkampfuntertöne. Mit sicherem Griff in das Volle, Sinnliche, Körperliche – das passt hier, diese schöne Körperlichkeit des ganz auf Kraft ausgelegten Mannes, den Stella liebt - die Begegnungen zwischen Stella und Stanley heiss und leidenschaftlich, sie weiss, dass sie ihn beherrscht, wenn sie auf ihm herumkrabbelt. Schön, und lässt doch die eruptive Gewaltsamkeit dieses Mannes nicht vergessen, der jähzornig und brutal ist. Selten nur taucht im Hinterkopf die Erinnerung an Marlon Brando auf, der 1951 in jenem berühmten Film diese Rolle spielte. Oliver Masucci besitzt die betörende, aggressive und beängstigende Kraft, die so weitgreifende Rollen aus der Zeit des psychologischen Theaters fordern, um glaubwürdig zu sein.

Der Pokerabend mit Bierbüchsenorgie und gewaltigem Remmidemmi – Schubwechsel, wie ihn die Regisseurin offenbar liebt - ist eine Inszenierung für sich, in der wir auch gleich den zweiten Mann kennenlernen, Lorenz Nufer als Mitch. Selbstbewusst und männlich und voll dort, und ganz klein hier, der tumbe Tor, ganz süss, wenn er der sehr fordernden Dame gegenübersteht, die auf eine Weise mit ihm redet, die er bestenfalls von Männern gehört hat. Klasse!

Ich habe mich keine Minute gelangweilt. Auch da nicht, wo ich nicht mehr alles verstanden habe. Eine inspirierte, sehr kraftvolle Produktion des Schauspiels. Sehr zum Anschauen!

Von Reinhardt Stumm


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