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Artikel vom 29.08.2006

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Elsass - Kultur

Das war das «Jung‘ste Gericht»…

Meisterkoch Emile Jung von der Strassburger Dreisterne-Edelbeiz «Au Crocodile» hat am Sonntag, 27. August 2006, im Ecomusée d‘Alsace nicht nur gekocht, sondern auch Äpfel von einem der 240 Apfelbäume gepflückt

Von Jürg-Peter Lienhard



Wer aus Gutem Besseres macht, bei dem muss man sich nicht schämen, einzukehren: Emile Jung in der Ecomusée-Degusationsküche. Allfe Fotos: J.-P. Lienhard, Basel @ 2006


Zwei Geheimnisse hat Maître Emile Jung dem Publikum aus seiner berühmten Küche verraten: Erstens, wie man die Sekunden sekundengenau zählt, und zweitens, dass Gemüse in einer Gänsefett-Bouillon statt aus dem gewöhnlichen Salzwasser beser, nein himmlisch schmeckt!

Um grad das Geheimnis mit dem Gänsefett richtig zu beschreiben: Man kann diese elsässische Spezialität am kommenden Wochenende vom Freitag, 1. bis Dienstag, 5. September 2006, an der Wein- und Käsemesse «DegustHa» in Hagenthal-le-Haut im Sundgau ab 4 Euro pro 400-Gramm-Büchse erstehen. In der schweizerischen und in der badischen Nachbarschaft jedenfalls findet man dieses ungemein interessante Basisprodukt der elsässischen und französischen Küche nicht, nicht mehr!

Wichtig ist jedenfalls Geflügelfett - entweder Gänse- oder Entenfett. Die Hühner haben sowieso praktisch ihr Fett weg, wenn sie beim Grossverteiler «landen». Bei Enten und Gänsen ist es noch dran, nur gibt‘s die nicht beim Grossverteiler in der Schweiz oder im Badischen… Bekommt man kein Gänsefett, so kann man notfalls auch ein bis zwei Hühnerschlegel mit dem Gemüse mitkochen.

Genau so wichtig wie die Zutaten sind die Werkzeuge - sprich Pfannen. Die allergrössten Küchenmeister, die gewitztesten Hobby-Köche und die Köchinnen des Alltags im Elsass und in ganz Frankreich verwenden die «Rolls-Royces» der französischen Küche - es ist das Pfannengeschirr aus dem Elsass, der berühmten Manufaktur Staub von Thürkheim. Man erkennt die Staub-Cocotten am goldglänzenden Messingknopf und an einem interessanten Detail: Auf der Innenseite des Deckels hat es erbsengrosse Auskragungen, wo sich der Dampf zu Tropfen sammelt und als Flüssigkeit wieder dem Kochgut zuführen lässt.



Alles Gute steigt nach oben: Wunderbar betörende Gerüche aus den Pfannen der «Rolls Royces der französischen Küche».


Jeder Schul-Chemiker sagt, dass Salz eben «nur» Salz ist. Was zwar stimmt, wenn es in Flüssigkeit gelöst wird. Doch je nach Salzgewinnung und -Herkunft kommen verschiedene «Spurenelemente» mit, die es auf Esswaren verstreut ganz anders schmecken lassen. Erstaunlich ist das Geschmackserlebnis mit grobem Salz, dem französisch geheissenen «gros sel». Gemüse in einer Gänsefett-Bouillon gezogen und nachher mit «gros sel» bestreut - es ist ein erstaunlich gustatives Erlebnis!

In der grossen Küche gibt es immer wieder Sachen, die nur wenige Sekunden Braten, Kochen oder Flambieren ertragen. Sie haben sicher noch nie - auch am Fernsehen - einen Koch mit der Stoppuhr in der Hand beim Kochen gesehen. Auf Deutsch behilft man sich mit dem Zählen der Sekunden, indem man mit Einundzwanzig beginnt. Doch Franzosen haben es da schon schwieriger - vor allem sollten sie bis quatre-vingt-dix-neuf zählen müssen. Bis 99 zählt man natürlich auch in der französischen Küche nicht; diese Zeitspanne hat ein guter Koch allemal «im Auge» oder «im Griff».



Dem Meister in die (Edel-)Töpfe geguckt - aber so schnell so kleine Würfel schneiden können, ist auch eine Kunst…


Lustig ist daher, wie sich Meisterkoch Emile Jung auf Französisch mit Zählen behilft - auf Amerikanisch. Die Methode, so verriet er im Ecomusée d‘Alsace dem Publikum, habe er selbstverständlich «nur gelesen», denn sie stammt von amerikanischen Häftlingen: Diese zählen «one potato, two patatoe, three patatoe»… Bei zehn ist allerdings Schluss, denn von da an haben die Kartoffeln in der Mehrzahl drei Silben…

Emile Jung wurde im «Haus der Farben und der Geschmäcker» im Ecomusée d‘Alsace, dem mächtigen Eindachhof aus Muespach, von einer ständig grösser werdenden Schar von Neugierigen und Hungrigen umringt. Nur: grosse Küche ist nicht gemacht, um den Magen zu «füllen», sondern bestenfalls um ihm zu schmeicheln, damit er die Sinne anregt, was ja auch wieder nicht schadet, wenn uns wieder einmal bewusst wird, was auf der Zunge und in der Nase so alles abgehen kann, wenn uns dieses Glück von einem Meister geliefert wird. Dafür darf's ja dann auch Gänsefett sein…



Der Kirchenchor aus Nidwalden staunte, dass der elsässische Meisterkoch keine Krabben und Filets kochte, sondern Erdfrüchte in allen Variationen.


Schmunzeln liess daher die Beobachtung der eher jungen Mitglieder eines Kirchenchors aus Nidwalden, dem «Schlaraffenland für Älplermakronen». Sie staunten über die Vielfalt der Erdfrüchte, die da neben der Demonstrationsküche auf Stroh lagerten: Sellerie, Kohlrabi, rote und gelbe Rüben, Randen, Topinambur, Kartoffeln und so weiter, zumal sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass diese Knollengewächse überhaupt auf einer Tafel einer Edelbeiz landen konnten. Doch die Degustation von kleinen Häppchen aus den Töpfen von Maître Emile Jung belehrten - und beglückten - diese Besucher aus der Innerschweiz, die französisch völlig korrekt «la Suisse primitive» geheissen wird. Denn «primitive» heisst «ursprünglich», also «ur» oder eben «Urschweiz»…

Als um 17 Uhr der Meisterkoch seine Töpfe zusammenräumte - stellen Sie sich vor, es waren gerade mal vier Töpfe und zwei Pokale Gänsefett, die Rohprodukte stammten ja alle aus den Museumsfeldern - war aber für ihn noch lange nicht Feierabend. Wie früher, ging's nach der Heimarbeit noch in den Obstgarten: Da warteten die dieses Jahr prächtig trächtigen 240 Apfelbäume, an denen jeweils eine andere Sorte hängt, auf flinke Hände.



Auf zur Reise ins Apfel-Schlaraffenland, dem Museum der 240 Apfelsorten.


Tatsächlich hat das Ecomusée d‘Alsace 240 Apfelbäume (in Worten: zweihundertvierzig) angepflanzt, die ebenfalls 240 verschiedene Apfelsorten repräsentieren. Mindestens so viele verschiedene Apfelsorten gab es bis nach dem Zweiten Weltkrieg in den Obstgärten am Oberrhein - Deutschland und die Schweiz inbegriffen! Im ganzen Frankreich zudem waren es über eintausend Sorten… Jede Sorte diente einem besonderen Verwendungszweck: Zum Kochen beispielsweise, und zum Kochen jeweils nur gerade die Sorte, die zu einem bestimmten Gericht passte, zum Lagern, darunter solche Sorten, die beim Pflücken noch nicht geniessbar, dafür nach der Lagerung ab Frühjahr oder Frühsommer ihren köstlichen Geschmack erlangten, und natürlich Tafeläpfel von süss bis säuerlich herb, also für jeden Geschmack den Richtigen! Die Migros bietet zu jeder Jahreszeit lediglich fünf bis sechs Sorten an - dafür alle aus Afri- od Ameriko…

Dem Ecomusée d‘Alsace gebührt mit der Wiederansiedlung dieser Apfelsorten ein grosses Verdienst für die oberrheinische Zivilisation, denn es hat diese Sorten gewissermassen in letzter Minuten vom kompletten Verschwinden retten können: Eine Sortensammlung in Hagenthal, von einem Liebhaber über Jahre aufgebaut, drohte zerstört zu werden; das Ecomusée d‘Aslace hat in einer Nacht- und Nebelaktion Zweige gerettet und sie auf seinem Gelände fachmännisch aufgepfropft und so der Nachwelt erhalten.



Der Preis des Fleisses: Ein Apfelsegen in allen Farben.


Der Obstgarten im Ecomusée d‘Alsace ist also ein Museum für Apfelbäume. Was damit für nachfolgende Generationen geleistet wurde, sieht man diesen Bäumen auf den ersten Blick nicht an, und wenn sie dann auch noch ihre Früchte und das Laub verloren haben, wirkt dies alles völlig unspektakulär. Doch spektakulär ist dieses Engagement auf jeden Fall, wenn man weiss, dass diese Sorten grad vor dem Verschwinden standen, als das Ecomusée d‘Alsace zupackte!

Für Emile Jung stand es ausser Frage, dass er sich diesen Obstgarten ansehen wollte; schliesslich sind Gemüse und Früchte für einen Meisterkoch, was Saiten für einen Klaviervirtuosen. Und zu Emile Jungs Kochkunst gehört eben die Kenntnis der Geschichte der menschlichen Nahrung ebenso wie auch deren Kultivierung.



Viele der geretteten Apfelsorten sind derart schmackhaft, dass der Meisterkoch jeweils grad in zwei Äpfel aufs mal beissen musste - zum Gaudi des Fotografen.


Zunächst liess er sich vom Biologen des Ecomusée d‘Alsace, von François Kiesler, auf dem von einem historischen Traktor gezogenen Pritschenwagen in das Apfelmuseum fahren. Begleitet von seinen beiden Assistenten, einer Stagiaire und einem Lehrling, sowie deren Angehörige und dem Ecomusée-Gründer Marc Grodwohl. Die fröhliche Gesellschaft sollte unter Anleitung und kommentiert von François Kiesler einige Plastikkörbe mit gepflückten Äpfeln füllen.

Interessant war, den Meisterkoch zu beobachten: Was für alle grossen Künstler und Köpfe gilt, ist, dass sie stets vorausgehen, stets ein paar Schritte weiter voraus sind, damit sie möglichst ohne Ablenkung ihre Erkundungen machen können. Oft nur staunend, aber zuweilen auch forschend. Ich meinte zu bemerken, dass Emile Jung mindestens zehn Äpfel verdrückte, aber jeden mit einer besonderen Art von Neugier und Genuss… Zweifellos war sein Besuch im Ecomusée d'Aslace nicht nur Arbeit und Show, sondern auch Begegnung und Erlebnis «der anderen Art»!

Das zeichnet ihn besonders aus, lange vor seinem leider durch spektakuläre Fernsehshows auffallenden Kollegen (wie heisst der denn schon wieder?), der das Metier derart kommerzialisierte, dass es für viele als unmoralisch gilt, für eine kompromisslos gute Küche Geld auszugeben oder gar daran Freude zu haben! Für einen Besuch in Emile Jungs «Au Crocodile» in Strassburg braucht man sich aber nicht zu schämen, weil man jedem, der aus Gutem das Bessere macht, seine Hochachtung schuldet!

Und dann gibt es noch etwas, das eigentlich alles sagt: Auf die Frage, warum er sich für das Ecomusée d‘Alsace engagiere, zumal seine Kundschaft sich wohl kaum mit alten Bauernhäusern abgibt, sagt er freimütig: «Weil ich zuerst Elsässer bin, und zweitens finde ich Marc Grodwohl einen famosen Kerl!»



Ecomusée-Biologe François Kiesler, vorne, dahiner der «famose Kerl», Ecomusée-Gründer Marc Grodwohl, und ganz hinten der andere «famose Kerl», Emile Jung.


Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Die deutschsprachige Internetseite des Ecomusée d'Alsace zu Emile Jung

• Die Seite des «Au Crocodile» in Strassburg

• Link zu «Staub Pôterie» - die «Rolls Royce» der besten Küchen


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