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Artikel vom 30.01.2006

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Martin Zingg

281 Millionen bevormunden acht Milliarden

Wie die BibeltreuInnen und die GleichstellungsbürolistInnen sich die «neue Weltordnung» vorstellen

Von Martin Zingg



«Sprachtechnokraten» mit ideologischen oder moralischen Absichten verbreiten oder verhindern Worte.



Aufräumen! Die Welt muss immer wieder mal aufgeräumt werden, sie hat es bitter nötig. Es sammelt sich ja so vieles an, das ganz einfach nicht hierher gehört.

Weggeräumt gehören beispielsweise die Gefahren, denen Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, da zeigen wir uns nicht abgeneigt. Und auch hierzu macht die, wie sich neuerdings immer öfter genannt wird, «letzte noch verbliebene Weltmacht» ihre Vorschläge.

Sie denken, weil Sie an die USA denken, natürlich sofort an Filme und Videospiele mit brutalen Gewalt- und/oder Sex-Szenen. An Bilder also, die den Umgang mit Gewalt als den normalen Weg zur Lösung von Konflikten vorschlagen.

Zugegeben, das mit den brutalen Gewaltszenen im Kinderzimmer ist schlimm genug, auch wenn es meist bloss fiktive Tote sind, aber viel störender ist es doch, wenn in einem Schulbuch eine Geschichte über Delphine steht.

Denn: Kinder aus den Bergen oder aus der Prärie werden durch eine solche Geschichte unglaublich benachteiligt, da sie keine eigenen Erfahrungen mit Delphinen machen können. An Waffen, ob echt oder bloss simuliert, kommen schliesslich alle ran. Aber an Delphine?

Und was halten Sie von Geschichten mit Dinosauriern? Bitte, hat es die denn wirklich mal gegeben, sind Sie diesen Monstern bei der Lektüre der Schöpfungsgeschichte je mal begegnet? Eben nicht. Dachten wir uns doch.

Vielleicht haben Sie aber mal in der Jugend eine Fabel gelesen, in welcher eine eitle, weibliche Krähe von einem schlauen, männlichen Fuchs erst über alle Massen gepriesen und anschliessend überredet wird, ihren Käse fallen zu lassen? Von Aesop oder von Lafontaine?

Sowas sollten Sie nie mehr lesen, diese Fabel ist sexistisch. Ein Märchen wie «Aschenputtel» ist sexistisch, das scheint nach allem nicht zu erstaunen, und dass Harry Potter des (nicht beim Namen genannten) Teufels ist, ist wohl klar.

In ihrem Buch «The Language Police», dem die oben erwähnten Beispiele entstammen, dokumentiert die amerikanische Historikerin und Erzieherin Diane Ravitch die Exzesse politischer Korrektheit und des fundamentalistisch-christlichen Bekennertums - und damit einen Prozess schleichender Sprachreglementierung in den Vereinigten Staaten.

Der Angriff gilt nicht nur den Schulbüchern, er zielt auch auf Bibliotheken. Inzwischen haben die Sprachpolizisten, die in vielen Bundesstaaten über die Zulassung von Schulbüchern befinden dürfen, ganz neue Problemfälle ausfindig gemacht: «Schneemann» beispielsweise ist sexistisch, Lösungsvorschlag: «Schneeperson».

«Adam und Eva» ersetzen wir durch «Eva und Adam» und zeigen damit, dass Männer Frauen nicht beherrschen. «Cowboy» oder «Cowgirl»? Zweimal sexistisch. Ersatz: «Cowhand». Und wenn wir von «Eskimos» reden, sollten wir nicht den Sammelnamen gebrauchen, sondern sie «Inupiak» oder «Yupit» nennen, je nach Stamm.

Wobei auch «Stamm» ein arroganter, westlicher Begriff ist, den der Weisse Mann für Eingeborene in ihren Hütten gebraucht. Und sowieso muss «Hütte», das ist Vorschrift, durch «ein kleines Haus» ersetzt werden.

Natürlich möchte man solche Skurrilitäten mit einer kleinen Handbewegung wegfackeln. Aber seit uns immer öfter mitgeteilt wird, dass so manches, was für die Vereinigten Staaten (281 Millionen Einwohner) angeblich gut ist, es auch für die restliche Welt (7 oder 8 Milliarden Einwohner) ist, haben Berichte über solche Skurrilitäten einen seltsamen Beigeschmack.

(Aus «drehpunkt», der Schweizer Literaturzeitschrift, Nr. 116. Hrsg. Rolf Bussmann und Martin Zingg. Erscheint drei Mal jährlich im Lenos Verlag Basel. Redaktion «drehpunkt», Postfach, CH-4016 Basel. Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.)

Von Martin Zingg


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