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Artikel vom 19.10.2010

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Basel - Kultur

Veranstaltungshinweis

Alte Postkarten zeigen das neue Gesicht Allschwils

Eine Sonder-Ausstellung im Heimatmuseum belegt mit Bilderwelten um 1900 die Entwicklung der Vorortgemeinde Basels im Sundgau

Von Jürg-Peter Lienhard



Klar, man «sieht» das «neue» Allschwil, wenn man in die Zeit zurückblickt - zum Beispiel mithilfe dieser alten Ansichtskarten Allschwils aus der kommenden Ausstellung im Dorfmuseum. Foto zVg


Der Blick zurück ist stets auch ein Blick in die Zukunft, die man sowieso nicht vorausschauen kann. Mit der Betrachtung der Vergangenheit «sieht» man die zurückgelegten Schritte, die durchgemachte Entwicklung, und könnte, ja könnte, seine Schritte in die Zukunft so bewusster lenken. Theoretisch… Diese theoretische Chance will das Allschwiler Heimatmuseum den Besuchern der Sonderausstellung «Das MMS unserer Urgrossmütter, Postkarten und Fotografien aus Allschwil ab 1898» bieten. Vernissage ist Freitag, 22. Oktober 2010 (bis 19. Februar 2011).

Das katholische Sundgau-Dorf vor den Toren des protestantischen Basel hat seinen alten Kern weitgehend erhalten können - wenngleich meist die «Seele» seiner historischen Substanz durch oft ignorant perfektionierende Architektur erstickt worden ist. Ausnahmen ausgenommen - wie die beispielhaft gelungenen und einfühlsam verwirklichten Renovationen des Zahnarztes Martin Schilling.

Immerhin hat der Dorfkern ein «Gesicht», nämlich dasjenige der typischen Sundgauer Hauslandschaft, dem Fachwerk. Die Einheimischen nennen es «Riegelhaus» nach den fachsprachlich «Riegeln» genannten horizontalen Balken - im Gegensatz zu den «Ständern», den vertikalen Trägern. Diese «Riegelhäuser» haben für den Fachmann enorme bauliche Vorzüge, für den Laien jedoch sind sie heute immerhin «schmucke Häuschen, die man bewahren sollte». Das war nicht immer so!

Die Generationen um und nach 1900 sahen im Fachwerkhaus das «Armeleutehaus», allein, weil es mitunter «alt», also gar aus der Zeit vor dem Dreissigjährigen Krieg stammte. Und so galten dessen Bewohner als «arm», obwohl es meist habliche Bauernsame beherbergte… Wer etwas auf sich hielt, der «schminkte» in dieser Zeit die Fassaden seines «Riegelhauses» mit einer dicken «Puderschicht» aus Abrieb über dem Fachwerk und gab dem Haus dadurch den Anschein, es aus massivem Stein gebaut zu haben, was das «schändliche» Etikett «ärmlich» vertuschen sollte. Man nennt das «Mode»…

In der ziemlich behutsam renovierten Liegenschaft am Dorfplatz, wo die Dorfbeiz «Landhus» eingemietet und eingerichtet worden ist, haben die enthusiastischen Initianten grossformatige alte Fotografien vom Dorfkern Allschwils aufgehängt. Sie geben dem Intérieur bewusst einen Hauch von Nostalgie.



Doch das ist nicht Allschwil. Allschwil hat mit fast 19’300 Einwohnern nicht ganz doppelt so viele Einwohner, wie es in der Schweiz braucht, um den Status «Stadt» für sich in Anspruch nehmen zu können. Und tatsächlich ist Allschwil längst kein Dorf mehr, sondern durch die enorme Bautätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg gewissermassen nahtlos zu einem Quartier der Stadt Basel geworden. Zumal das grüne 6er-Drämmli nicht mal als «Vororttrambahn» mehr wahrgenommen wird, wenn man die vielen Stationen durch «Neu-Allschwil» bis zum Dorfkern fährt, als die die Tramlinie zu Beginn des letzten Jahrhunderts angelegt worden war.

So ist aber die Strecke, die das 6er-Tram ab Morgarten-Depot beim früheren Gross-Restaurant «Sans-Souci» bis zum Terminus im Dorfzentrum allein auf Baselbieter Boden zurücklegt, heute gleichwohl eine «Reise zurück in die Vergangenheit» - vorbei an den zur Stadtgrenze gelegenen Altbauten des alten Zentrum Neu-Allschwils am «Lindenplatz», entlang den 60er-Jahren-Blocks der Baslerstrasse bis zum viereckigen Betonbunker der Swisscom mit dem Grosspostamt Allschwil 1 - dem einzigen Vollservice bietenden Postamt Allschwils (!) - und der dahinter befindlichen neuen Gemeindeverwaltung mit dunkelroter Klinkerfassade.

Noch auffälliger als die ist jedoch die «Himmelstreppe» davor auf dem Platz zur Strasse. Nicht weil sie eine lange Reise in die Nacht anzudrohen scheint, sondern weil sie dem kopfschüttelnd vorbeigehenden Passanten wie eine verkehrtherum aufs Fundament gestellte Rednertribüne vorkommt - mit dem Rücken zum Publikum: Diese banale Betontreppe mit dem Geländer wie aus dem Baumarkt will Kunst sein, Teil einer Kunstinstallation, die im gedeckten Innenhof des architektonisch und räumlich erstaunlich gelungenen Atriumbaus arme Steuerzahler und Sozialhilfeempfänger dazu bringen will, durch Fernrohr-Attrappen Erkenntnisse des geistigen Universums zu gewinnen. Immerhin gratis…

Die nächste Etappe ist die Abzweigung zur Landesgrenze gegen Hegenheim, die mit «Belfort» im Territoire angeschrieben ist. Da stand vor nicht allzulanger Zeit mitten in der Strasse ein Verkehrsteiler, der so saublöd in der Ideallinie erigierte, dass, wer von Hegenheim herkam und nach links gegen Basel einschwenken musste und, zumal im nichtendenwollenden abendlichen Grenzgängerverkehr, wo der Blick in alle Richtungen gleichzeitig gefordert ist, den Pfosten einfach umrempeln musste. Monat für Monat von neuem. Und Monat für Monat wurde die Blechfalle hartnäckig erneut an exakt derselben Stelle einbetoniert…


Fotoserie: J.-P. Lienhard, Basel © 2010

Die Fahrt geht weiter, rechts vorbei an einer Betonkirche - übrigens das vierte Gotteshaus an der Tramlinie seit Basel; ein fünftes ist beim Terminus die befestigte Dorfkirche mit dem Storchennest auf dem Käsebissen-Dach - und man ist immer noch nicht im Dorf Allschwil, immer noch in einer gesichtslosen Gegend ohne Charakter, weder ländlich noch städtisch.

Erst nach der Einmündung der Binningerstrasse erkennt man Anzeichen des beginnenden Dorfes Allschwil: Linkerhand erscheint dann bald einmal das Dorfmuseum, typischerweise in einem «Riegelhaus», dessen Gefache unsachgemäss das Fachwerk überkragt, und weiter an vielen Bausünden der Fünfzigerjahre vorbei, bis man dann endlich aus naher Distanz das Dorfbild vor Augen hat, das ohne den Doktor Lusser und den «Buurehuus-Gschwend» verschwunden wäre, wie alle anderen Dörfer im schweizerischen Teil des Sundgaus so radikal und rasch nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur Allschwil hatte das Glück, dass seine historische Substanz, zwar nicht lückenlos, aber doch fürs Auge signifikant erhalten blieb, weil es eingeklemmt zwischen der Landesgrenze und fernab einer Durchgangsstrasse in einer territorialen Blase liegt.



Da stört sich der Laie nicht, auch wenn der Fachmann tränt, dass die Traufseite einer Scheune mit schaufenstergrossen Scheiben versehen worden sind, damit ein luxuriöses Wohnzimmer «mit caché» eingebaut werden konnte.

Darum sind alte Fotos von Liegenschaften, Strassenzügen oder Ortsteilen so wertvoll: Der Laie, der in der Regel nicht Pläne zu lesen versteht oder kaum über die Fähigkeit des räumliche Denkens oder der räumlichen Phantasie verfügt, kann sich aufgrund alter bildlicher Dokumente wohl eher ein Bild einer zukünftigen Planung machen, sieht vielleicht sofort, was die «Entwicklung» verbrochen hat oder was es unter allen Umständen zu vermeiden gibt.

Aus der Medieninformation:

Das Allschwiler Dorfmuseum präsentiert:

Sonderausstellung «Das MMS unserer Urgrossmütter. Postkarten und Fotografien aus Allschwil ab 1898»

22. Oktober 2010 bis 19. Februar 2011


Das Heimatmuseum Allschwil lädt zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Zahlreiche Originalpostkarten und 40 Reproduktionen alter Fotografien aus Allschwil zeigen, wie sich das Gesicht der Gemeinde in über hundert Jahren verändert hat.

Die Ausstellung im grossen Saal des Heimatmuseums Allschwil gibt einen Abriss der Geschichte der Ansichtskarte am Beispiel der Gemeinde sowie einen Überblick über die Motive von Allschwiler Ansichtskarten. Die Originale sind in den Vitrinen ausgestellt. Besonders seltene Karten oder Fotografien eines längst entschwundenen Allschwils werden zudem als vergrösserte Reproduktionen auf Stellwänden und in den Nebenräumen im 2. Stock präsentiert.


Von der Postkutsche zur Betonkirche



Die meisten Ansichtskarten stammen aus den Sammlungen Loeliger, Blauel und Roth. Die älteste Postkarte, eine sogenannte «Gruss-aus…»-Karte» aus der Sammlung Loeliger stammt von 1898. Auf der farbigen Chromolithografie sieht man das alte Gasthaus zum Rössli, vor der die Postkutsche nach Schönenbuch wartet, die Baslerstrasse mit dem offenen Dorfbach, über den heute das 6er-Tram fährt, die damals meist noch verputzten Riegelhäuser und die alte Römischkatholische Kirche , die 1967 durch eine moderne Betonkirche ersetzt wurde.

Fotos der früheren Allschwiler Ziegelei

Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl alter Dorfansichten. Nicht nur der Dorfkern mit den bekannten Sundgauer Riegelhäusern, auch Fotos aus Neu-Allschwil sind zu sehen. Dazu gehört etwa das Schulhaus, das damals noch allein auf weiter Flur stand. Heute sind die früher landwirtschaftlich genutzten Flächen alle überbaut. Auch die früher für Allschwil wichtigen Industriebetriebe wie die Ziegeleifabrik Passavant-Iselin & Cie sind in der Ausstellung auf einer Postkarte von 1905 zu sehen.

Die Bilderwelt der kleinen Leute

Die Ansichtskarten dienten übrigens nicht nur dazu, Nachrichten zu übermitteln, sondern verkörperten, wie die Existenz von Sammlerklubs belegt, eine Zeitlang auch die Bilderwelt der kleinen Leute. Diese Funktion verloren sie nach dem 1. Weltkrieg an die Illustrierten und nach dem 2. Weltkrieg an die Hobbyfotografen mit ihren Instantkameras, die heute ihrerseits von den digitalen Bildern und den MMS erfolgreich verdrängt worden sind.



Nützliche Informationen und Spezielles

Heimatmuseum Allschwil, Baslerstrasse 48, CH-4123 Allschwil

Vernissage
Freitag, 22. Oktober 2010, 19 Uhr
mit einer Einführung des Historikers Dr. Ruedi Graf zum Thema 
«Bilderwelten um 1900 oder das MMS unserer Urgrossmütter»
Musikalische Umrahmung: Musikschule Allschwil
Apéro


Öffnungszeiten & Führungen
Sonntag, 7. November 2010, 5. Dezember 2010, 2. Januar 2011, 6. Februar 2011
Öffnungszeiten: 10 bis 17 Uhr
Führung durch die Ausstellung: 11 Uhr

Samstag, 20. November 2010, 15. Januar 2011, 5. Februar 2011, 19. Februar 2011
Öffnungszeiten: 11 bis 15 Uhr
Führung durch die Ausstellung: 13.30 Uhr

Eintritt frei, das Museumscafé ist geöffnet


Vorträge zur Ausstellung
«Der Dorfplatz im Wandel der Zeit»
Max Werdenberg, Autor, Chronist und Sammler
Samstag, 5. Februar 2011, 15 Uhr
Sonntag, 6. Februar 2011, 15.30 Uhr

«Die Invasion der Bilder. Von der Landschaftsmalerei zur Ansichtskarte.»
Dr. Ruedi Graf, Historiker
Freitag, 21. Januar 2011, 19.00 Uhr

Die Vorträge finden im Heimatmuseum Allschwil, Baslerstrasse 48, Allschwil statt.

Von Jürg-Peter Lienhard


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