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Artikel vom 18.10.2009

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J.-P. Lienhards Lupe

Mit Antwort von Bundesrätin Widmer

Unerbittliche unchristliche Prinzipienreiterei

Das Schweizer Strafrecht kennt zwei Rechtswohltaten, die von aufgeklärten Gesetzesautoren schon im 19. Jahrhundert formuliert worden waren

Von Jürg-Peter Lienhard



Bundespräsdient Leon Schlumpf, der Vater von Bundesrätin Widmer-Schlumpf, tat 1984 genau das, was seine Tochter im Falle Polanskis «Gleichbehandlung» nennt: Er schüttelte einem gesuchten Wirtschaftskriminellen offenherzig lachend die Hand - statt ihn nach Frankreich auszuliefern! Dabei ging es bei dem Kriminellen hier um Millionen-Unterschlagung, die Tausenden von Arbeitern die Stelle und die Existenz kostete - manchen sogar das Leben! Archiv J.-P. Lienhard, Basel © 2009


Wenn jemand Jurisprudenz studiert, sogar mit einem Hochschuldiplom abschliesst, dann muss er zwangsläufig den Begriff «Rechtswohltat» kennengelernt haben. Sonst ist er oder sie ein miserabler Jurist/Juristin. Auch wenn er/sie beispielsweise Frau Widmer heisst und Vorsteherin des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments ist.

Die beiden Rechtswohltaten, die Ende 19. Jahrhundert im damals noch jungen schweizerischen Staat in der Gesetzgebung wohlweislich und vorausschauend aufgenommen worden waren, heissen: Konkurs und Verjährung.

Letztere Rechtswohltat ist jedoch mit der kürzlich vom Stimmvolk angenommenen Unverjährbarkeits-Initiative bereits durchlöchert und teilweise aufgehoben worden. Das juristisch und philosophisch ungebildete Volk ist ja stets hochempfänglich für «Rübe-ab»-Justiz, je martialischer, desto besser. Hören Sie sich an den Stammtischen herum unter den Blick- und 20-Minuten-Lesern. Da sollen bereits Velofahrer, die ein Stopsignal überfahren, «für immer» hinter Gitter, da ist die Todesstrafe für was auch immer, die «einzig erfolgversprechende Strafe». Nur «Pfählen» und «Gevierteilen» als Hinrichtungs-Methode kennen die rabiaten Stammtischler glücklicherweise nicht - weil sie eben kaum ein historisches Dokument zu lesen imstande sind, weil Lesen und Verstehen ihre Sache nicht ist.

Der Begriff Rechtswohltat jedenfalls verlangt eine gewisse intellektuelle Anstrengung durch Bildung und Aufklärung, weswegen das gemeine Volk damit gar nichts anfangen kann. Die neuere schweizerische Literatur von Gotthelf bis zu den Lebensberichten von noch lebenden Verdingkindern gibt trauriges Zeugnis davon, handelt auch stets davon, dass «Zuchthäusler» bis ans Lebensende stigmatisiert bleiben. Auch wenn sie ihre mitunter nur «moralische» Tat der «Unehelichkeit» längst gesühnt haben oder rückfällig werden mussten, weil ihnen die enge dörfliche «Gerechtigkeitsgemeinschaft» keinen anständigen Spielraum fürs Überleben gewährte, sprich die Resozialisierung verweigerte. Dieselbe Gemeinschaft, die stets sonntags vollzählig in die Kirchen pilgert, wo sie sich die Botschaften Christi zur Barmherzigkeit anhört, überbietet sich hernach beim Bechern in der Wirtschaft mit grausamsten unchristlichen Vollzugsvorschlägen im Namen der (ihrer) «Gerechtigkeit».




«Das Abendmahl» von Leonardo da Vinci: Kunsthistoriker rätseln immer wieder von neuem über die metaphorische Ausgestaltung. Und auch die abendländische Kultur hat ihre liebe Mühe und Not, die Botschaft Christi zu verstehen und im Alltag zu leben: Liebe, Mitleid und Vergebung - die Dimensionen dieses Sinnes scheinen unauslotbar. Darum ist für die meisten Gläubigen in Christi das Gebet nur ein pflichtgemässes Runterrasseln - oder nicht, oder doch, Frau Widmer?


Die Gesellschaft braucht offenbar die «Zuchthäusler», allein um selbstgerecht ihre eigenen Veranlagungen zu kaschieren. Beispielsweise gelten Millionenboni nicht als Diebstahl, bleibt die politische Lüge und Feme durchaus straflos… Darum hält das Volk dem «Zuchthäusler» seine mitunter von der Gesellschaft mitgeförderte Tat stets am Kochen, verweigert ihm lebenslang die christlich motivierte Rechtswohltat der Verjährung - auch wenn er längst im Altersheim an Krücken geht und seine Vergangenheit einen Bart so lang bis auf den Fussboden wachsen liess…

Die Gesetzesautoren des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die aus dem Unrechtsstaat der Alten Eidgenossenschaft und den Trümmern der nachrevolutionären und nachreaktionären Zeit von 1848 und 1870 einen freisinnig orientierten und bürgerrechtlich fortschrittlichen Staat formulierten, hatten was auf dem Kasten, was noch heute nicht selbstverständlich ist, auch wenn die tieferen Einsichten in das menschliche Wesen unter dem modernen Begriff «Psychoanalyse» ganze Heerscharen von Psychiatern beschäftigt: Die aus der «Aufklärung» gebildeten Gesetzesautoren wussten, wie der Mensch «funktioniert», wussten, dass der Mensch im Laufe seines Lebens sich ständig entwickelt, fortentwickelt und eben auch altert, seine kriminelle Energie versiegt.

Aus dieser Erkenntnis und auf der Basis des Christentums formulierten sie das Verhältnis von Tat und Sühne und den Anspruch des Täters, mit der Sühne von der Tat befreit zu werden, damit er wieder als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft eingegliedert werde.

Was die Gesetzes-Autoren des 19. Jahrhunderts eben auch wussten, ist, dass jeder Mensch ein Gewissen hat, bei vielen gar ein schlechtes… Es gibt Leute, die mit einer Jugendsünde das Leben lang hadern, seis wegen eines kleinen Ladendiebstahls oder wegen eines grösseren Murkses. Es gibt genug Beispiele, wo ein lange gesuchter Räuber seine Verhaftung als Befreiung von seinem allzeit präsenten schlechten Gewissen und seiner Angst vor dem Entdecktwerden, erlebte.

Die natürliche Veränderung der menschlichen Seele durch das Alter und durch die Erfahrung, durch den aus schmerzlicher Erfahrung gewonnenen bewussteren Horizont, die zunehmende Schärfung des Unterscheidungsvermögens zwischen Recht und Unrecht und die unverdrängbaren Gewissensqualen, das war die Grundidee der Verjährung. Wenn es der Staat nicht schaffte, einen Täter innerhalb einer bestimmten langen Zeit, gemessen am Menschenleben, nicht dingfest zu machen, dann sollte ihm aufgrund der Annahme, dass er mit seinen Gewissensqualen und dem fortschreitenden Alter so die Tat gesühnt hat, zumindest, dass sein Wesen sich so weit entwickelt hat, dass er sich mit dem Motiv seiner Tat selbst nicht mehr identifizieren kann, eben auch die Strafe als verjährt erlassen werden.

Ein Mord verjährt in der Schweiz nach 30 Jahren. Ein Täter, der einen Mord mit 30 begeht, der kann erst mit 60 Jahren damit rechnen, dass seine Tat verjährt ist. Vorausgesetzt, er hat nicht weitere Straftaten verübt - denn dann verschiebt sich die Verjährung. Dieser Haken im Strafgesetzbuch ist eben auch aus der Beobachtung des Menschen angebracht worden. Ein Berufsverbrecher oder unheilbar Krimineller ist damit etwa gar nicht aus dem aufgeklärten strafrechtlichen «Schneider».



Roman Polanski spielte in seiner genialen Vampir-Komödie «The Fearless Vampire Killers» an der Seite seiner Frau Sharon Tate. Sie wurde wenig später von einem geistesgestörten Sektierer bestialisch und hochschwanger ermordet: Polanski hatte jahrelang Mühe, über dieses grausige Geschehen hinwegzukommen.


Um nun auf die tiefere Absicht dieser Rückblende zurückzukommen: Die von den Strafrechts-Autoren des 19. Jahrhunderts formulierte fortschrittliche Rechtswohltat der Verjährung wird mit der Verhaftung Roman Polanskis von der Vorsteherin des eidgenösissischen Justiz- und Polizeidepartementes, Evelyn Schlumpf, mit Füssen getreten. Zumal sie Angehörige einer Partei war, deren Mitglieder immer und gerne «Rübe ab»-Vergeltung fordern, und wahrscheinlich ist die Splitterpartei Bürgerlich-demokratische Partei (BDP), der sie nach dem Rausschmiss aus der SVP nun angehört, auch nicht anders «beflügelt». Ferner weiss Widmer die reaktionäre Mehrheit und die Stimmenden der Unverjährbarkeits-Initiative hinter sich; sie hat sich damit weiteren politischen Kredit geäufnet. Kredit, den sie als SVP-Abtrünnige auf die hohe Kante legt - die nächsten Wahlen kommen bestimmt.




Guantanamo ist ein unerhörter Verstoss gegen internationales und Kriegsrecht und ist Staatsterror der USA. In Guantanamo foltert der «demokratische» Staat der Vereinigten Staaten die Häftlinge und entwürdigt und demütigt sie absolut unzulässig, selbst wenn längst klar ist, dass viele unschuldig sind. Auch die Schweiz trägt Mitschuld, weil sie Zwischenlandungen von Gefangenen-Transporten nach Guantanamo zugelassen hat - auf Diktat der USA!


Betreffend «bilaterales Auslieferungs-Abkommen mit den USA»: Polanski ist französisch-amerikanischer Doppelbürger; er besitzt auch die polnische Staatsbürgerschaft. Allein schon deswegen hätte Frau Widmer verschiedene Wahlmöglichkeiten gehabt, dem clandestin übereifrigen Polizisten erstens eins auf die Finger zu klopfen und zweitens die Sache anders anzugehen, als sich und die Schweiz dem Vorwurf des hundsföttischen Gehorsams gegenüber dem Unrechtsstaat USA auszusetzen!

Solcher polizeilicher Übereifer kommt hier in der Schweiz immer wieder vor, angefangen von der Verhaftung bei der Einreise und Einbuchtung wegen nichtbezahlter Parkbusse von 20 Franken (Francis Laffon, Chefredaktor der Zeitung «l'Alsace») bis zur rüden Beinaheverhaftung des international berühmten Dirigenten, Komponisten und Protégé von Paul Sacher, Pierre Boulez, um 6 Uhr in der Frühe im Hotel «Les Trois Rois» in Basel… (siehe: http://webjournal.ch/article.php?article_id=653).

Das sture Beharren auf das Auslieferungs-Abkommen mit den USA ist eine unerbittliche juristisch-technokratische Haltung von Widmer; sie verrät eine reaktionäre und unbarmherzige Weltanschauung. Zumal das Rechtssystem der USA keine Rechtswohltat in unserem Sinn kennt, die Gefängnisse jeglicher Beschreibung spotten, die Strafen, die absurderweise ein Mehrfaches der Lebenserwartung der Täter übersteigen, nur Rache bedeuten und Resozialisierung ein Fremdwort ist. Die Urteile und der Vollzug verstossen gegen die Menschenrechte. Mit Guantanamo wird internationales und Kriegs-Recht ausser Kraft gesetzt, und die amerikanische Justiz ist mit den immer noch üppig verhängten Todesstrafen menschenunwürdig.

Abgesehen davon, dass Richter persönlich motivierte Urteile sprechen oder Staatsanwälte illegale Methoden anwenden und dass mit dem Kronzeugen-System das Rechtsempfinden nach unseren Masstäben bedenkenlos ausgehebelt wird. Wie in den USA im Prozess gegen Polanski verfahren worden ist, hat alles andere als mit rechtsstaatlicher Korrektheit zu tun!

Der Hinweis auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz stimmt nicht, war noch nie zutreffend (siehe Bild Schlumpf-Schlumpf oben). Aber wird von Widmer wider besseres Juristenwissen stets gebetsmühlenartig wiederholt. Gesetz und Gerechtigkeit sind zwei paar Stiefel. Gerechtigkeit gibt es nicht - das braucht hier nicht auch noch rechtsphilosophisch wiederholt werden. Die Gleichbehandlung vor dem Gesetz ist auch ziemlich relativ: Wer sich einen teuren Anwalt leisten kann, der hat einen Vorteil. Manchmal sogar einen schreiend-ungerechten! Wo es um viel Geld geht, da gibts sowieso keine Gleichbehandlung. Beispiel UBS, CS und Pauschalbesteuerung für Superreiche…

Schliesslich ist die kleine Schweiz eben ein Land der geldgeilen Kleingeister - Dürrenmatt beschreibt sie als Gefängnis, wo die Insassen auch ihre Aufseher sind: Hier herrscht der Durchschnitt - angefangen vom Bundesrat, den kleinen Angestellten des Kleingeistervolkes. Kaum je wurde ein grosser Geist in das Gremium der Landesregierung berufen - Gustave Ador ist die Ausnahme der Regel - und Durchschnitt ist daher Programm: Kein einziges Genie wirkt in der Schweiz, und in der Vergangenheit blieb genialen Vordenkern nur die Emigration…



Auch in seiner köstlichen Vampir-Parodie verblüffte er mit genialen Tabubrüchen: Ein schwuler Vampir rückt ihm auf die Pelle, und er kann sich nur retten, indem er dem blutrünstigen Schwuletti ein Buch in den Mund steckt, als dieser ihn küssen will…


So wie die Schweiz im Zweiten Weltkrieg sich einigelte im Réduit, so ist der Geist ihrer Insassen eben auch noch heute eingeigelt. Kunststück: Geografie- und Geschichtsbücher der Schweizer Schulen zeigen die Welt aus der Froschperspektive; was rundherum geschieht oder geschah, gilt als Kuriosum. Ein Genie in Frankreich verhaften? De Gaulle sagte es deutlich: Ein Genie darf man nicht verhaften. So blieb der Philosoph Paul Sartre als Solidarteilnehmer an den Studentenunruhen in Paris auf höchste Anordnung des Generals unbehelligt vom Büttel, der 1968 fleissig auf die Studentenköpfe einprügelte.

Es ist eben doch ein Unterschied, ob ein Säuniggel seine eigenen Kinder jahrelang missbraucht, oder ob ein Genie wie Roman Polanski in seinem greisen 76. Lebensjahr die Rechtswohltat der Verjährung einer Tat beanspruchen darf. Zumindest, indem er nicht an den Unrechtsstaat USA ausgeliefert wird. 32 Jahre nach seiner Tat, die er längst gesühnt hat, indem er von Hollywood ausgeschlossen bleibt, indem ihn jetzt die Widmer-Justiz erneut belangt und er seit Wochen in Winterthur getrennt von seiner Familie mit ungewissem Schicksal einsitzt, obwohl ihm das Opfer längst die persönliche Rechtswohltat des Verzeihens angedeihen liess, verübt hier die Schweiz von Widmers Gnaden einen skandalösen Verstoss gegen die aufgeklärten Gesetzesautoren der Gründerzeit der modernen Schweiz. Ein Rückfall in die dunkle Zeit des ancien régimes, als Gevierteilen und Pfählen ein Volksvergnügen war!

Das Land mit der «besten Armee der Welt», ist eben nicht das Land mit der besten Kultur der Welt!




«Ich finde, er hat für seine Tat genug gebüsst», sagt die 45-jährige Samantha Geimer, geborene Gailey heute. Und sie versichert: «Ich hege keinen Groll mehr», dass Polanski sie zum Sex gezwungen hatte, als sie 13 war. Darum hat sie beim Gericht in Los Angeles offiziell den Antrag um Einstellung des Verfahrens gegen den Regisseur gestellt. Hier posiert Samantha an der Premiere von «Wanted and Desired» in New York. Im Film der Regisseurin Marina Zenovich wird Polanskis Fall unter dem Verdacht der Befangenheit des Richters thematisiert.


Über Roman Polanski

eigentlich Rajmund Roman Liebling

Polanski wurde 1933 als Sohn eines polnischen Juden in Paris geboren; er ist u.a. französischer Staatsbürger. Vier Jahre später ging die Familie wegen des wachsenden Antisemitismus in Frankreich nach Polen zurück. Dann überfielen die Deutschen das Land. Die Polanskis wurden ins Krakauer Ghetto deportiert und die Familie auseinandergerissen.

Bevor die Eltern in Konzentrationslager kamen, hatten sie mit all ihren Ersparnissen und dem Familienschmuck dafür gesorgt, dass der neunjährige Sohn bei einem polnischen Bauern mit neuer Identität als katholischer Pole überleben konnte. Neben Hunger und rüder Behandlung litt der Junge vor allem unter der Trennung von den Eltern. Polanskis Vater kam ins österreichische KZ Mauthausen. Er überlebte. Die Mutter war im vierten Monat schwanger, als sie nach Auschwitz kam und ermordet wurde.

25 Jahre später wiederholte sich für Polanski das Grauen, als 1969 Anhänger der Charles-Manson-Sektiererbande in sein Haus einbrachen und seine Frau, die Schauspielerin Sharon Tate, mit 28 Messerstichen töteten. Sie war im achten Monat schwanger.



Offener Brief von unserem
Filmjournalisten Ottokar Schnepf


Ottokar Schnepf schreibt an Bundesrat Moritz Leuenberger, Stellvertreter des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes:


Guten Tag Herr Leuenberger.

Die Diskussion um die Legalität und Legitimität von Roman Polanskis Verhaftung aufgrund eines internationalen Haftbefehls der USA bei seiner Einreise nach Zürich am 26. September 2009, wo er auf dem Filmfest für sein Lebenswerk geehrt werden sollte, hat bizarre Blüten getrieben. Nachdem sich die jetzt in den Schweizer Kinos gezeigte Dokumentation «Roman Polanski: Wanted And Desired» bemüht, Zweifel an der ordnungsgemässen Prozessführung durch den damaligen Richter zu nähren und sich Polanski offenbar in einem - von seinem Opfer gegen ihn angestrebten - zivilrechtlichen Verfahren zur Zahlung von mehreren hunderttausend Dollar Schmerzensgeld verpflichtete, hatte Roman Polanski vergeblich eine Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens angestrebt.

Eine einfache Sache möchte man meinen. Polanski hat herausragende Filme gedreht, die jene, die jetzt nach Rache dürsten, wahrscheinlich gar nicht kennen. Dass er sich vor einem amerikanischen Gericht für die Verführung einer Minderjährigen verantworten soll, das sehen viele seiner Kollegen und Bewunderer anders. Prominente Filmschaffende meldeten sich mit einer emphatischen Unterstützungserklärung zu Wort; zu den 700 Unterzeichnern gehören Martin Scorcese, Woody Allen, Pedro Almodovar usw. Sie protestieren gegen die willkürliche Behandlung ihres Kollegen in dieser «affaire de moeurs» und reklamieren quasi extraterritoriale Neutralität für Filmfestivals.

Parallel eröffnete Bernard-Henri Lévy eine zweite Petition, die für die Einstellung der Strafverfolgung dieser «episode» plädiert (www.bernard-henri-levy.com). Doch all das nimmt die Schweizer Justiz nicht zur Kenntnis, und eine Stellungnahme von ihnen, Herr Bundesrat Leuenberger, als Stellvertreter im Justiz- und Polizeidepartement, sucht man vergebens. Doch auch die Medien interessiert der Fall Polanski nicht mehr. Lediglich in der ersten Woche nach Polankis schamloser Verhaftung war das ein Thema; seit Wochen herrscht darüber Funkstille.

Doch derweil sitzt Polanski im Gefängnis, ist seit seiner Verhaftung gesundheitlich angeschlagen - unter anderem, weil es ihm nicht erlaubt ist, in seiner Villa in Gstaad unter menschlichen Bedingungen auf seinen Auslieferungsbefehl zu warten. Wegen Fluchtgefahr, als ob es nicht genug taugliche Hilfsmittel gäbe, eine solche von der ersten Sekunde an zu stoppen.

Ich bin 72 Jahre alt, schreibe seit 50 Jahren über Kinofilme, allein schon deshalb beschäftigt mich die Affäre Polanski. Beim Wieder-Lesen seines Buches «Polanski by Polanski» steigt Wut über die Schweizer Behörden in mir auf . Hat dieser begabte Künstler nicht schon genug erleiden müssen, in seiner Kindheit in Polen als Jude zur Zeit des Naziregimes, durch die Ermordung seiner Frau Sharon Tate in seinem Haus. Als interessierter Film- und Jazz-Liebhaber sollten sie, Herr Leuenberger, sich für die Freilassung von Polanski einsetzen. Denn: Einen Polanski verhaftet man nicht!

Freundlich grüsst: Ottokar Schnepf, Basel.




Kürzlich war Polanski in Stuttgart eingeladen - unbehelligt. Er besuchte eine Aufführung von Laien, die sein Vampir-Stück als Musical auf die Bühne brachten. Die Hobby-Schauspieler sagten einhellig: «Roman ist ein guter Kerl und ein famoser dazu!»

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Das Antwortschreiben von Bundesrätin Widmer im Format PDF


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