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Artikel vom 18.09.2009

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Rubrikübergreifendes

Ueli Maurer entblösst die Medien

webjournal.ch gibt hier den vollen, ungekürzten Wortlaut der Rede des SVP-Bundesrates am Jahreskongress des Verbandes der Schweizer Presse vom 17. September 20029 wieder

Von Redaktion

webjournal.ch will weder Sprachrohr der SVP noch irgendwelcher anderer politischer Parteien sein. Die Rede des Vorstehers - nicht: «Ministers», das ist in der Schweiz kein Regierungs-Posten - des eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS)ist eine Schelte an die Adresse der Medien. In vielen Punkten ist sie bedenkenswert, auch wenn sie gespickt ist mit populistischen Interpretationen und Verallgemeinerungen aus der Optik der politischen Herkunft des Redners (Zwischentitel wie im Originalmanuskript).

Bundesrats-Reden werden meist von einem Ghostwriter verfasst, weil die Texte eben viel Zeit beanspruchen und auf Wissens- und Informationsquellen zurückgreifen, die der Bundesrat für gewöhnlich gar nicht hat. Darum ist es auch schwierig, solche Reden als ernstzunehmende Meinung oder als Wille zur Tat einzuschätzen, zumal wenn sie als Ansprache vor einer Festgemeinde gehalten werden.

Bei dieser Rede Maurers vor den Medienbaronen treffen einige Elemente den Nagel auf den Kopf - die Weisheiten liegen jedoch auf der Hand. Ungewohnt ist lediglich, dass sie aus dem Mund eines Bundesrates stammen und vor den Verursachern und Betroffenen geäussert wurden. Einer Branche übrigens, die gewöhnlich gerne und heftig austeilt, aber zimperlich reagiert, wenn sie selbst Gegenstand von Kritik ist.

Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie uns IHREN Kommentar als Leserbrief an info(ad)webjournal.ch.

Hier der Text (orthographische Korrekturen von red.):


-- Von Bundesrat Ueli Maurer --

Die Idee der Demokratie wurde in der griechischen Antike geboren. Im Stadtstaat, der Polis, in einer kleinen Gemeinschaft mit übersichtlichen Verhältnissen. Auf dem Marktplatz, der Agora, wurden Waren gehandelt und Meinungen ausgetauscht. Und aus dem Meinungsaustausch entwickelte sich die politische Diskussion, welche die Geschicke von Stadt und Staat bestimmte.

Eine Widergeburt (gemeint: Wiedergeburt, red.) erlebte die Demokratie in selbstbewussten mittelalterlichen Städten. In Norditalien, in Süddeutschland, in Schweizer Zunftstädten wie Bern, Basel oder Zürich; aber auch in engen Talschaften, wo die Bauern in genossenschaftlichen Zusammenschlüssen schwierigsten Verhältnissen trotzten.

Ob Athen oder die Waldstätte, Gemeinsamkeiten gibt es: Die Übersichtlichkeit. Die Kleinräumigkeit. Die Beziehungen der Bewohner; die Bekanntschaft miteinander, die Kenntnis voneinander, das Wissen übereinander.

Staatsphilosophen waren denn auch lange der Ansicht, Demokratie sei nur in kleinen Ländern möglich. Aber mit der Entwicklung der Medien erweiterte sich ihre Spannweite. Aus den hitzigen Diskussionen von Angesicht zu Angesicht wurden die Flugschriftenkampagnen der Reformationszeit. Aus den Flugschriftenkampagnen wurden Tageszeitungen. Aus den Tageszeitungen Radioprogramme, Fernsehsendungen; aus den Radioprogrammen und Fernsehsendungen blogs, online-communities, Foren wie facebook. 

Und wie sich die Spannweite der Demokratie erweiterte, so braucht sie Stützen, Tragpfeiler - Die Medien stellen deren drei:

Die Medien müssen berichten und informieren. Die Medien müssen die Diskussion ermöglichen. Die Medien müssen für Transparenz sorgen, die Macht kritisieren und kontrollieren, um so Missbrauch zu verhindern.

Informieren

Die Medien berichten und informieren: Das ist die Wirkung der Medien, das ist die Wucht der sogenannten neuen Medien - Dass sie den Kreis der Wahrnehmung erweitern, den Wissensstand erhöhen, weit über das selbst Erfahrene und selbst Erlebte hinaus.

Die Politiker, die zur Wahl stehen - woher kennt man die? Die Sachfragen, über die wir abstimmen, von wem werden diese erläutert?

Ich bilde mir eine Meinung aus den Informationen, mit denen ich versorgt werde. Sobald ich die Personen nicht mehr selbst kenne, die Geschehnisse nicht mehr selbst erlebe, bin ich auf die Informationen durch die Medien angewiesen.

Die Medien verkürzen nicht nur die räumliche Distanz, sie reduzieren auch den zeitlichen Aufwand. Sachgeschäfte, umfangreiche Vorlagen, in die sich der Bürger schon allein aus Zeitmangel nicht vertiefen kann, werden ihm durch und über die Medien erschlossen.

Diskutieren

Die Medien ermöglichen die Diskussion: Der Bürger ist nicht nur Informationskonsument, sondern auch Informationsproduzent. Er möchte an der Öffentlichkeit teilnehmen.

Wenn wir uns die Urformen der Demokratie vor Augen halten: Die griechische Agora, das römische Forum, der Marktplatz der Zunftstadt, die Landsgemeinde der Talschaft, dann finden wir einen lebhaften Austausch - da wird gestritten, diskutiert und argumentiert. Zum Idealbild verfeinert heisst das: Umfassend und wahrheitsgemäss informierte Bürger diskutieren gleichberechtigt miteinander, bis sie die bestmögliche Lösung gefunden haben. 

Und es ist die tiefe Überzeugung eines Demokraten, dass die beste und vernünftigste Ansicht sich durchsetzt. Deshalb ist die Vielfalt so wichtig.

So verglich John Stuart Mill die Mechanismen der Wirtschaft mit der Entscheidfindung in der Gesellschaft. In seiner wegweisenden Schrift «Über die Freiheit» zeichnete er das treffende Bild eines Marktplatzes der Ideen, vergleichbar dem Marktplatz der Waren. Genau wie sich im wirtschaftlichen Wettbewerb das beste Produkt durchsetzt, setzt sich auf dem Ideenmarkt die beste Idee durch. Und genauso wie der Erfolg der besten Produkte die Wirtschaft voranbringt, bringt der Erfolg der besten Ideen die Gesellschaft voran.

Die Medien sind also zuständig für die grosse, permanente, umfassende, bevölkerungsüberspannende Landsgemeinde, für den Gedankenwettbewerb. Um beim Bild von Mill zu bleiben: Sie stellen die Infrastruktur für den Marktplatz der Ideen.

Kontrollieren

Die Medien sorgen für Transparenz und kontrollieren die Mächtigen und die Macht: Das ist die dritte Aufgabe. Die Aufgabe des Kritisierens und Kontrollierens, des Anzeigens und Anprangerns, des Hinschauens und Hinterfragens.

Der Blick der Bürger durchdringt nicht alle Verwaltungsnebel und reicht nicht bis nach Bundesbern. Das hat er wohl noch nie. Denn bereits 1911 hielt das Bundesgericht in einem Entscheid ausdrücklich fest, die Presse habe den Auftrag, allfällige Missbräuche im Gemeinwesen aufzudecken.

Wenn alle wie im Märchen die neuen Kleider des Kaisers preisen, ist es die Aufgabe der Medien, als kleiner Knabe mit der Wahrheit in die Disziplin der Heuchelei hinein zu platzen und zu schreiben, ja, zu schreien: Der ist doch nackt!

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Medien machen Demokratie erst möglich! Sie sind die Verlängerung der fernen Realität mittels Zeitung, Radio und Fernsehen in meine Wohnstube! Sie sind die gut informierten und diskutierfreudigen Marketender auf Mills grossem Marktplatz der Ideen. Und Sie sollten der kleine Knabe sein, der sich von der Aura der Macht nicht beeindrucken lässt, der sagt, was er sieht, der sagt, wie es ist.

Werden die Medien diesen Aufgaben gerecht? Nein. Der Ist-Zustand sieht anders aus:

Wenn wir uns die drei Funktionen vor Augen halten, mit denen die Medien die Demokratie stützen und schützen, ja, sogar erst ermöglichen, muss ich feststellen, dass diese Aufgaben oft nicht erfüllt werden.

Pfuschen

Nehmen wir zuerst das Berichten und Informieren. Es ist die Grundlage der Meinungsbildung und damit auch die Grundlage der Demokratie. Denn unsere Erfahrungen sind auf das eigene Umfeld begrenzt, darüber hinaus brauchen wir wahrheitsgetreue Informationen von Dritten. Und darauf gestützt verhalten wir uns als Bürger, darauf gestützt stimmen und wählen wir. Die Informationen legen somit den Boden für die politische Beteiligung.  

Viele Medien nehmen den Informationsauftrag nicht ernst. So legen sie den Boden schlecht: Pfusch ist da an der Tagesordnung. Schnellschüsse und Kurzschlüsse, Sofort-Umfragen, Sofort-Erklärungen, Sofort-Geschichten füllen die online-Zeitungen, die Tageszeitungen, die Radio- und Fernsehprogramme. Aus dem Internet gegoogelt und schrill umformuliert, werden aus Nichts Schlagzeilen und aus Wenig Texte.

Ich möchte den Chefredaktoren unter Ihnen beliebt machen, investieren Sie täglich einen Franken pro Mitarbeiter, damit dieser ab und zu mit einem Telephonanruf seinen Beitrag überprüfen, seine Angaben verifizieren kann.

Die Pfuscherei ist das eine, das Totschweigen das andere. Nehmen wir den Teletext: Gewisse Meldungen tauchen nur kurz auf, andere bleiben stehen, einen Tag oder gar noch länger.

Und vieles erreicht uns gar nie. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich das Alltagsgeschehen mit der Berichterstattung vergleiche.

Die Selektion der Nachrichten und Neuigkeiten unterläuft die demokratische Meinungsbildung: Wer Informationen unterdrückt, der übernimmt das Amt des Zensors und darf sich nicht mehr der Ausgewogenheit rühmen. Bei Staatsmedien ist das unzulässig; privatwirtschaftliche Medien sollten dann offen zu ihrer Linie stehen.

Vermischen

Aber gerade diese Ehrlichkeit findet sich selten. Gravierend ist, dass sich das Mangelhafte mit der Manipulation vermischt: Bei der Anmoderation, bei der Überleitung zum nächsten Thema, beim lockeren Spruch zwischendurch, in der Sportsendung, im Kulturbeitrag, im Guätnachtgschichtli - überall werden Wertungen dazwischengestreut. Unterschwellig. Verdeckt und versteckt. Stets wird ein politischer Takt geklopft.

In den Printmedien sind es die Aussagen zwischen den Zeilen, die Bildauswahl, die Bildlegende, die Titel, die nicht zum Textinhalt passen.

Politischer Kommentar, Unterhaltung, Satire und Information verschmelzen - damit wird die Grenze zum Unredlichen überschritten.

Ein solcher Mix wäre in andern Produkten unzulässig. Einem Winzer würde man Panscherei vorwerfen. Das Erzeugnis müsste er vom Markt nehmen. Der Produzent würde bestraft.

Zum Schutz der Konsumenten gibt es ein Konsumenteninformationsgesetz, welches die Deklaration des Inhalts und der Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen verlangt. Eine Deklarierungspflicht für Meinungen wäre wohl mindestens so wichtig ...

Dass Sie mich richtig verstehen: Ich störe mich nicht daran, dass Journalisten und Redaktoren ihre Meinung kundtun. Ich störe mich daran, dass dies nicht offen geschieht, sondern heimlich und hintenrum, unter dem Deckmantel der wertfreien Faktenvermittlung. Und ich störe mich auch daran, dass entgegenstehende Meinungen ignoriert werden, dass beispielsweise politische Inserate nicht abgedruckt werden, weil diese nicht den Ansichten der Redaktion oder der Verleger entsprechen.

Damit wird die offene Debatte verunmöglicht, es wird suggeriert statt debattiert. Und so hinkt und humpelt die Realität dem demokratischen Ideal weit hinterher.

Kuscheln (gemeint ist wohl «Kuschen», red.)

Ich habe vorhin davon gesprochen, dass es Aufgabe der Medien sei, mit der Wahrheit in die Atmosphäre der Heuchelei zu platzen. So wie der kleine Knabe im Märchen.

Aber in der Medienrealität ist es umgekehrt. Mich erinnern die Medien an Kurtisanen - sie bewegen sich immer im Umfeld der Macht; mal diesem zugetan, mal jenem zugetan, stets dem Kaiser zu gefallen. Sie weben an den Illusions-Kleidern mit, verteidigen diese so dreist, so drohend, dass sich kein kleiner Knabe die Wahrheit auszusprechen traut; wagt doch jemand den ehrlichen Zwischenruf, suchen sie den dicksten und schwersten Stoff, um Blössen zu verdecken.

Selbst tragen die Kurtisanen die Kostüme der Professionalität, der Objektivität, der Neutralität. Oder sie geben vor, diese zu tragen. In Wahrheit gehen sie ebenso nackt wie der Kaiser.

Wenn wir uns also die drei Stützen ansehen, welche die Medien für die Demokratie sein sollten - die Information, die Diskussion, die enthüllende Kritik - beunruhigt mich, wie wackelig diese sind.

Wir alle müssen die gleichgerichteten Produkte der Mainstream-Medien konsumieren; Medien, die alle mit den gleichen Farben malen, die alle Kommentar und Fakten mischen - und das noch als Objektivität verkaufen!

Die Informationsmonopole sind ebenso schädlich wie wirtschaftliche Monopole - Sie ersticken den Wettbewerb und lassen den Ideenaustausch absterben. Und nicht nur das. Die Informationsmonopolisten erlangen solchen Einfluss, dass sie selbst zu kleinen Kaisern werden. Denken wir nur an das Staatsradio und das Staatsfernsehen: Wie früher von Thron und Kanzel erklären uns die Redaktoren, wie die Welt sei, wie wir sie zu sehen und zu verstehen haben. 

Konsequenzen

Verbesserungen allerdings könnten erzielt werden: Wir brauchen bloss an Mills Marktplatz zu denken - Pluralismus würde Abhilfe schaffen. Wirklicher Pluralismus. Nicht blosse Titelvielfalt, sondern richtige, inhaltliche Vielfalt.

Dann würden die Schwächen gegenseitig kompensiert. Wenn ein Medium eine einseitige Selektion der Meldungen vornimmt und Tatsachen ausblendet, werden diese dafür von der Konkurrenz vermeldet. Immer ist ein anderer da, der in die Lücke springt.

In der Vielfalt sind auch parteiische Medien kein Nachteil, sondern ein Zugewinn an Klarheit. Der Konsument weiss, was er zu erwarten hat. Und er kann die Argumente gegen einander abwägen, indem er sie mit jenen anderer Medienprodukte vergleicht. Eine grössere Zahl der Meinungen würde deshalb den Ideenwettbewerb stimulieren.

Und schliesslich würde eine hartnäckige, aufsässige Kontrolle des Mächtigsten - bei uns kein Kaiser, sondern der Staat - uns Bürgerinnen und Bürgern mehr bringen als Kurtisanengeflüster.

Wir müssen uns überlegen, wie wir die Qualität der Medien verbessern und den Wettbewerb stärken können. Nicht nur den wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern auch den Wettbewerb der Ideen und Meinungen. Wenn ich mir die einheitliche Berichterstattung der Mainstream-Medien ansehe, glaube ich, wir bräuchten so etwas wie ein Anti-Trust-Gesetz gegen Informationsmonopolisten und mediale Meinungskartelle.

So ist auch darüber nachzudenken, ob die Wettbewerbskommission im Medienbereich bei Übernahmen, Fusionen oder enger redaktioneller Zusammenarbeit nicht einen klaren gesetzlichen Auftrag erhalten sollte, nebst dem freien Markt auch den freien Ideenmarkt zu schützen - Gewichtiger Lehrmeinung nach bietet ja das Kartellgesetz hierzu keine genügende Rechtsgrundlage.

Dabei müssen wir aber konsequent sein: Auch die SRG soll sich dem Wettbewerb stellen, soll auf ihre übermächtige Position verzichten müssen. Denn ihre dominierende Stellung ist mit dem urdemokratischen Gedanken der Ideen- und Meinungsvielfalt nicht vereinbar.

Unabhängig vom gesetzlichen Rahmen bleibt sich eines aber immer gleich: Das persönliche Engagement von Journalisten, Redaktoren und Verlegern. Als Vertreter der Medien stehen Sie in grosser Verantwortung. Mit Ihrer Arbeit sollten Sie der Demokratie die drei wichtigsten Pfeiler bieten: Die Information, die Diskussion, und die enthüllende Kritik. Tagtäglich begegnen Sie dem Kaiser - und Sie müssen sich entscheiden, ob Sie ihm als Knabe oder als Kurtisane gegenübertreten wollen.

Ich möchte Sie hier daran erinnern, meine Damen und Herren, was Sie unserer Demokratie schuldig sind: Achten Sie bei Ihrer Arbeit auf den eitlen nackten Kaiser und denken Sie immer an den kleinen Knaben im Märchen, der die Dinge beim Namen nennt; der sagt, was er sieht!

-- Von Bundesrat Ueli Maurer --

Von Redaktion


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