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Artikel vom 28.03.2009

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J.-P. Lienhards Lupe

MIT LESERBRIEFE

Migros schafft Preisetiketten ab

Aus Konsumentensicht gibt es ein Für und Wider, aus Sicht der Generaldirektion nur ein Wider

Von Jürg-Peter Lienhard



Unter «M-Classic» gelangen bald mit neuer Verpackung sogenannte «klassische» Migros-Produkte in den Verkauf - ohne Preisanschrift, weil sonst bei Preisaufschlägen die alten Verpackungen vernichtet werden müssen - sagt die Migros.


Jetzt werden auch in der Migros die Preise auf den Produkten nicht mehr angeschrieben: Die Migros-Delegierten haben am Samstag, 28. März 2009, mit grossem Mehr (84 Ja, 10 Nein, 7 Enthaltungen) dem entsprechenden Antrag der Verwaltung des Migros Genossenschaft-Bundes zugestimmt. Somit sollen die Preise in den kommenden zwei Jahren nur noch an den Verkaufsregalen angeschrieben sein.

Wie die Migros in ihrem Presse-Communiqué vom Samstag, 28. März 2009, mitteilen, hätten Umfragen bei der Migros-Kundschaft zwar klar ergeben, dass die Preisanschrift am Produkt sehr geschätzt werde. Bislang ist die Migros die einzige grosse Detailhändlerin in Europa, die noch die Preisanschrift auf dem Produkt kenne.

Demgegenüber ist die Generaldirektion der Migros der Auffassung, dass bei der nun beschlossenen Regal-Preisanschrift die Kundenvorteile überwiegen: «Denn die aktuellen Preise sind, ohne jedes einzelne Produkt in die Hand nehmen zu müssen, schneller les- und vergleichbar und die Sortimente werden übersichtlicher. Zudem stimmt der Preis am Regal mit dem Preis überein, der an der Kasse bezahlt werden muss. Dies war durch die unzähligen Preisabschläge in der Vergangenheit nicht immer der Fall und verunsicherte die Kundschaft zusehends», heisst es im Communiqué.

Die Präsidentin der Deleigertenversammlung, Ursula Nold, begründete das Projekt denn sogar mit ihrer persönlichen Ansicht: «Spontan war ich immer für die Preisanschrift auf dem Produkt. Seit ich mich jedoch vertieft mit dem Thema auseinandergesetzt habe, ist für mich klar, dass die Vorteile für die Konsumenten überwiegen. Ganz abgesehen davon, dass die Migros dadurch die Kosten senken und das gesparte Geld wieder in tiefere Preise investieren kann. Auch ist es ein ökologischer Unsinn, wenn wegen veralteten Preisen auf dem Produkt, Verpackungen vernichtet werden müssen.»

Da ist aber der «Ktipp», die von der gleichnamigen Fernsehsendung mitgestaltete Konsumentenzeitschrift (über 269'000 Auflage), anderer Meinung: «Preise gehören auf die Produkte!», titelte die Zeitschrift in der Ausgabe vom 25. März 2009. Die «Ktipp»-Leser hatten zuvor die Migros zum «kundenfreundlichsten Unternehmen» gewählt, doch die Redaktion sah sich flugs aufgrund des Projekts der Migros-Verwaltung zur Aufhebung der Preisaufschrift genötigt, die Berichterstattung über die Preisverleihung mit der Überschrift «Wie gewonnen, so zerronnen» zu versehen…

Gemäss der Zeitschrift befürworten 69 Prozent ihrer Leser, dass die Migros die Preisanschrift auf jedem einzelnen Produkt beibehält. 51 Prozent der Leser befürworten Einkaufsläden, in denen die Preise am Produkt angeschrieben sind; 44 Prozent ist es aber egal.

Coop hat vor wenigen Jahren erst die Preisanschrift auf den Produkten abgeschafft, nachdem Denner zuvor voranging. Im Gegensatz zur Migros, setzte sich Coop über die heftigen Proteste von Kunden und Konsumentenschutz einfach hinweg, während Migros die Preisanschrift zunächst als Vorteil für sich beanspruchte, aber im Alltag damit gleichwohl gegenüber der Konkurrentin Coop nicht besonders punkten konnte.

Immerhin bedeutet die Preisanschrift auch eine Preiskontrolle. Nur: sie verhindert die Teuerung und die Aufschläge nicht. Beispiel Putzmittel: Gewisse davon sind in einem Single-Haushalt erst nach ein paar Monaten aufgebraucht. Beim Nachschub wird dann deutlich, wie eindrücklich sich Preisaufschläge dokumentieren lassen und wie schnell sich die Preisspirale nach oben dreht (nach unten jedenfalls eher selten…).

Wo die Aufschläge allzu eklatant sind, greifen die Hersteller, aber auch die Grossverteiler, zum einfältig offensichtlichen alten Trick: neue Verpackung, neuer Name, neue Quantität…

Allerdings lassen sich Aufschläge oft auch nur schwer kommunizieren, da sie in einem komplizierten Reigen von sich gegenseitig beeinflussenden Umständen eingebunden sind: Rohstoffpreise, Energiekosten, Tansport, Wetter, Steuern, Soziallasten.

Immerhin können die Konsumenten davon ausgehen, dass bei Migros die Preise für den täglichen Bedarf oft (nicht immer) teils um einen ganzen Batzen billiger als bei Coop sind. Hingegen bekommt man bei Coop etliche Produkte in besserer Qualität, insbesondere eine vielfältigere Palette von Bio-Produkten, während Denner immer wieder preislich für Überraschungen sorgt und eine, allerdings beschränkte, aber umweltmässig relevante Bio-Produktereihe - Milch, Brot und Butter - etwas günstiger als die anderen Grossverteiler anbietet. Mitunter schwingen Denners Produkte gar bei den Konsumenten-Testzeitschriften obenaus, und die Premium-Linie «Primess» bietet gar teils ein unübertroffenes Qualitäts-/Leistungsverhältnis (oder Spitzenprodukte wie beispielsweise Büffel-Mozzarella oder Salami).

Wer rechnen kann - wie die alten Reichen - und nicht sein Geld unüberlegt, oder weil er nicht informiert ist,
aus dem Fenster werfen will, hat es zunehmend schwerer, sich in der Preislandschaft kundig zu machen, zumal, wenn auch Migros als Grossverteiler seine Preise nicht mehr am Produkt anschreibt. (Oder wie Swisscom in einem voller Fallen strotzenden Tarifdschungel versteckt.)

Dennoch ist erstaunlich, wie gerade Leute, die einkommensmässig über ein beschränktes Budget verfügen, ihr Geld leichtsinnig ausgeben, weil sie nicht Lesen können und daher überhaupt nicht informiert sind über die ausgefeilten psychologischen Tricks der Verführer im Einkaufsparadies.

Insbesondere die vielen Gelegenheiten, manchmal «Aktionen» genannt, die «billig» oder «Gelegenheit» anpreisen, in Wirklichkeit Schrott und Geldvernichtungs-Angriffe auf die Konsumenten sind. «Billig» garantiert Verkaufserfolg im Umsatz: 1.95 ist eben «nur», gerade für Hartverdienende - und schon sind sie geneppt…

Andererseits gibt es eine grosse Zahl von doch so gut Verdienenden, dass die «nicht auf jeden Rappen schauen müssen». Aber auch für die gilt, dass sich übers Jahr diese blindlings verschwendeten Rappenbeträge (z.B. beim Treibstoff) oder gar unbedachte Franken-Differenzen kumulieren, wie die ebenso nicht ergriffenen Vergünstigungen durch gewisse Vorräte aus Aktionen.

Dafür müsste man sich eben informieren und vergleichen können. Dass diese Vergleiche immer schwieriger werden, geht zulasten der Konsumenten, geht zulasten selbst von Konsumenten, die sich aus vernünftiger Sparsamkeit orientieren wollen. Betonung: vernünftige Sparsamkeit - im Gegensatz zur Billig-Manie.



LESERBRIEFE (Titel von der Redaktion)


Verleitung zu unkritischem Konsumieren

Seit der Preisentfernung auf den COOP Produkten und der anschliessenden getarnten massiven Preiserhöhung von 2003 / 2004 habe bewusst nur noch bei Migros eingekauft, wenn dies möglich war. Die massiven kritisierten Preiserhöhungen von damals sind ja auch der Grund, warum COOP Umsätze verlor und sich seit Jahren mit „wir senken die Preise“ rechtfertigen musste.

Das Problem ist, dass man den Kassazettel zuhause nicht mehr auf Preisfehler kontrollieren kann. Natürlich gibt es das Argument der Verpackungen, die weggeworfen werden müssten. Das Argument scheint aber nicht stichhaltig, denn man kann Preise auch so anbringen, dass sie nachträglich auf die Verpackung kommen. Oder die Preise und Verpackungen besser planen. Und das wichtigste: Zum Preis gehört die Menge!

Dann zeigt die Erfahrung, dass angeschriebene Regale zuwenig Platz haben für die Etiketten, diese abfallen oder das Produkt am falschen Ort steht. Am Schluss ist einem das ganze wurst und man nimmt unkritisch was da steht. Wer hat dann gewonnen?

Generell kann man sagen, dass einem heute laufend Dinge als „Vorteil für den Kunden“ untergejubelt werden, die einzig dem Produzenten oder Verkäufer Vorteile bringen. Und immer ist das Kriterium „Geld“. Als ob es keine anderen Kriterien gäbe. Ich kenne ein Beispiel, da wurde ein ganzes Alterheim umgebaut, zum Nutzen des Personals und nicht zum Vorteil der Bewohner. „Artgerechte industrielle Haltung von Senioren“ müsste man dies wohl nennen. Aber das ist ein anderes Thema.

Meinrad Odermatt, Zug


Druckender Preis-Scanner

Abhilfe bei diesen müssigen Diskussionen über aufgedruckte Preise könnte eine technische Innovation bieten, die allerdings noch nicht verwirklich ist. An den Kasssen nehmen die Fräuleins doch bei jedem Produkt einen Scanner in die Hand (bei den Grossverteilern ist es ein im Pult eingebautes Scannerfenster).

Künftig sollte ein im Scanner eingebauter Mechanismus, Tintenstrahler oder Laserdrucker oder Ähnliches, grad im selben Moment, wenn der Artikel an der Kasse zum Bezahlen erfasst wird, den aktuellen Preis aufdrucken. Voilà - die Lösung, die alle Reklamationen zum Verstummen bringt.

Aber ich vermute gleichwohl, dass die Grossverteiler dies gar nicht wollen: Sie wollen den Preiskrieg unter sich unterbinden, weil der unter dem Strich doch viel mehr kostet als er einbringt! Wiederum sind wir Konsumenten die Lackierten, weil wir künftig keine Übersicht mehr haben, was wir wo zu teuer bezahlen oder was wo preislich überhöht ist.

Rolf Schiess, Basel


Von Jürg-Peter Lienhard


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